Richtig streiten #5: Die Kontinuität des Begründens

Zur Logik, zum vernünftigen Sprechen, gehört, dass man bereit ist, Gründe für seine Aussagen anzugeben. Diese Gründe müssen aber wenigstens so sein, dass man vermuten kann, dass der andere sie als Begründung akzeptiert. Wer wahrhaftig ist, muss auch nachsichtig sein: Er weiß, dass es zwischen Begründung und Aussage oft eine Lücke gibt, die aus Gemeinsamkeiten der Diskussionsteilnehmer erst geschlossen werden muss. Zudem wird er vermuten, dass alle Äußerungen des Gesprächspartners – sowohl die Meinungen als auch die Begründungen – sinnvoll verstanden werden können, auch wenn sie mit der eigenen Sprachpraxis nicht zusammenpassen. Ein wahrhafter und nachsichtiger Streit wird nicht mit dem Ziel geführt, die Sprachpraxis des anderen zu korrigieren, sondern den Sinn seiner Äußerungen zu verstehen und die Lücken zwischen seinen Begründungen und den geäußerten Meinungen zu schließen.

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Richtig streiten #4: Prinzipien und die herrschende Meinung

Die Logik des Begründens von Meinungen soll uns in dieser Serie beschäftigen. Dazu müssen jedoch immer noch einige Vorarbeiten geleistet werden, die das Feld, auf dem diese Logik wirkt, genauer beschreiben und damit den Gegenstand, das vernünftige Streiten um Meinungen, erst einmal hinreichend genau bestimmen. Schon diese Beschreibung liefert uns wertvolle Einsichten, auch wenn sie noch nicht die Logik des Streitens sind.

Im ersten Teil dieser Serie hatte ich das vernünftige Sprechen durch die Bereitschaft des Sprechers bestimmt, für seine Meinung Begründungen anzugeben. Das begründete Sprechen hatte ich mit dem vernünftigen Sprechen identifiziert und die Ablehnung der Angabe von Gründen als unvernünftig gekennzeichnet.
Allerdings kennen wir im Alltag viele Situationen, in denen eine Person es als absurd empfindet, Begründungen für ihre Meinung angeben zu sollen. Häufig stimmt sie darin mit der Mehrzahl derer überein, die sich an dem Gespräch beteiligen, in welchem die Meinung geäußert wurde.

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Richtig streiten #3: Die Struktur der Meinung

Was im Streit zum Gegenstand wird, ist eine Meinung oder eine Erwartung. Diese Wörter sind geeignet, das zu benennen, was umstritten ist, weil sie wichtige Merkmale des Strittigen sofort augenscheinlich machen: Meinungen und Erwartungen sind niemals direkt und unmittelbar überprüfbar. Sie betreffen oft Zukünftiges, im gewissen Sinne vielleicht immer Zukünftiges. Sie sind persönlich. Und sie sind, auch wenn wir ihrer ziemlich sicher sind, niemals ganz gewiss.

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Richtig streiten #2: Das Prinzip der Nachsichtigkeit

Vernünftig streiten heißt, die Frage nach dem Grund einer Meinung oder einer Erwartung zu akzeptieren und bereit zu sein, Gründe anzugeben. Das reicht aber noch nicht: Die Gründe müssen für den, dem sie gegeben werden, als Grund akzeptabel sein. Das heißt nicht, dass er ihnen zustimmen muss, dass er sie als richtig ansehen muss.  Sie müssen ihm nicht einleuchten, er kann sie bestreiten, aber sie müssen überhaupt als Gründe in Frage kommen. Sie müssen irgendetwas mit der geäußerten Meinung zu tun haben, was sie als Begründung in frage kommen lässt.

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Richtig streiten #1: Das begründete Sprechen

Es wird viel gestritten, in Talkshows, bei Facebook, in der Familie und unter Freunden. Es geht um alles Mögliche, um die Umwelt oder das nächste Urlaubsziel, um den amerikanischen Präsidenten, das Bedingungslose Grundeinkommen, die Dieselfahrverbote. Um den leeren Kühlschrank oder den vollen Mülleimer. Vor allem wenn es um Politik geht, kommt die Frage, wie wir streiten, ins Spiel. Irrational zu sein, nicht logisch zu argumentieren, ist dann ein oft gehörter Vorwurf. Dem politischen Gegner wird gern unterstellt, die Regeln der Logik zu verletzen, nicht rational zu argumentieren. Es hat den Anschein, als gäbe es irgendwo ein Regelwerk, an welches sich jede Person halten müsste und könnte, die an einem Streit teilnehmen will – und wer sich nicht an diese einfachen Regeln hält, der ist auch nicht berechtigt, mitzureden. Schließlich soll der Streit zwar engagiert, aber am Ende doch konstruktiv sein. Und um konstruktiv zu sein, so meint man, müssen sich alle an die Regeln der Logik halten.

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Freunde, ein Nachbar und zerschnittene Autoreifen

Ich hatte einen Nachbarn, der hatte ein Auto, das er selbst nicht brauchte. Wir vereinbarten, dass ich mir den Wagen immer mal ausleihen konnte, ich zahlte ihm dafür ein paar Euro und tankte voll, es war ein gutes Geschäft.

Irgendwann erzählten mir Freunde, dass dieser Nachbar einen von ihnen regelmäßig verprügelte. Sie fanden es verwerflich, dass ich diesem Nachbar das Auto volltankte und ihm auch noch Geld gab. Sie hatten Recht, ich entschied, auch wenn es für mich ziemlich schwierig war, auf das Auto zu verzichten und einen Mietwagen zu nehmen, wann immer ich ein Auto brauchte. Die Mietwagenfirma gehörte einem meiner Freude.

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Woraus besteht die Welt? – Einführung.

Woraus die Welt besteht, darüber haben wir im Alltag ein intuitives, einfaches Verständnis. Da sind die Dinge der gegenständlichen Welt, zu denen in gewisser Weise auch die Pflanzen, Tier und Menschen gehören. Da sind die Erzeugnisse der Gesellschaft und der Kultur: Geschichten, Gruppen von Menschen, Theaterstücke, Ausstellungen, Fußballspiele, Staaten und Regierungen. Bei manchen davon gibt es eine gewisse Doppeldeutigkeit, Bücher z.B. sind auf physische Gegenstände. Es gibt Ehepartner, Freunde und Regierungschefs. Sodann gibt es etwas, das weniger gut greifbar ist, wie etwa die Liebe, die Liebe zwischen zwei konkreten Menschen, die Freiheit und meine persönliche Freiheit. Es gibt noch weiteres.

Es scheint im Alltag nicht nur unproblematisch, dass es all das gibt, es erscheint auch unproblematisch, dass es entsteht und verschwindet. Es ist zudem meistens unproblematisch, etwas zu erkennen, einen Menschen z.B. als Freund zu identifizieren, ein Kind als Menschen, eine Gruppe als Organisation, eine Pflanze als sterbend oder verdorrt.

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Philosophie – Frage oder Gegenstand

Fragmente aus einer Facebook-Diskussion

Die Philosophie hatte auch vor 350 Jahren keinen Gegenstand, sie hatte immer nur eine Frage, und diese Frage hat sie noch immer. Es ist die Frage: Was bedeutet es, dass wir eine Welt haben? Die Frage dreht sich im Kreis, denn „Bedeutung“ setzt „Welt“ schon voraus. Zudem stellt sich die Frage zu jeder Zeit neu und anders als in früheren Zeiten – auch das ist zirkulär, weil „eine Zeit“ (diese Zeit, unsere Zeit, frühere Zeiten) gleichbedeutend ist mit einer bestimmten Antwort auf die Frage nach der Bedeutung von Welt-Haben.Diese Frage kommt der Philosophie nicht abhanden, sie wird ihr auch von niemandem abgenommen, weil sie eigentlich auch niemanden außer die Philosophen „interessiert“. Selbst die meisten Philosophen interessieren sich nicht für diese Frage, was es für diejenigen, die der Frage nachgehen, auch einfach macht: Sie können sich ganz für sich mit dieser Frage beschäftigen, in einer merkwürdigen Art von Zwiegespräch mit früheren, die in ihren Zeiten der Frage nachgegangen sind und ihre Antwortversuche aufgeschrieben haben.

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Die Dinge

  1. Ich beginne mit dem einfachsten Ding, welches meine Erfahrung vom Ding vielleicht auch als erstes geprägt hat. Ein Stein vielleicht. Ich kann ihn aufheben, drehen und wenden, spüre seine Oberfläche, sie ist glatt und kalt ich höre etwas, wenn ich ihn fallen lasse. Ich habe von Anfang an eine vielfältige sinnliche Erfahrung. Es ist wichtig, darauf zu achten. Der Stein wird als Ding und als Stein nur von mir wahrgenommen, wenn ich ihn aufhebe, anfasse, etwas mit ihm mache und diese Beschäftigung mit dem Stein mit allen Sinnen erlebe. Den Stein erlebe ich als Stein nicht durch das bloße Ansehen, sondern durch das Hantieren mit ihm, indem ich beobachte, was ich tue, indem ich meinen Umgang mit dem Stein erlebe.
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Unbegrenztes und Unendliches

Spätestens bei Aristoteles (Metaphysik 1006a, beim Verweis auf den unendlichen Regress) wird das Unbegrenzte mit dem Unendlichen identifiziert. Bei Anaximander, der das ἄπειρον (Negation von „Begrenztes“) als ἀρχή (Ursprung, Prinzip, Anfang) auffasst, muss diese Identifikation nicht unbedingt angenommen werden. Das Unbegrenzte als Prinzip, das ist verständlich, wenn man es so versteht, dass die Dinge grundsätzlich keine festen oder klaren Grenzen haben, dass sie ineinander übergehen, dass es Zonen des Übergangs gibt. Wenn Heraklit sagt, dass man die Grenzen der Seele nicht ausfindig machen kann, dann sagt er nicht, dass die Seele unendlich sei, denn er ergänzt, das, was man über sie sagen kann (ihr λόγος habe eine zu große Tiefe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, unbegrenzt und doch nicht unendlich zu sein.

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