Alice und Bob #3: Eine Notiz

Beim Aufräumen fand Bob einen Zettel, auf dem eine 3 notiert war. Nichts weiter als eine Drei. Alice musste sie bei ihrem letzten Besuch da draufgeschrieben haben und das Blatt dann wohl vergessen haben. Sogleich rief er sie an, denn es konnte ja sein, dass die Drei auf diesem Zettel eine wichtige Bedeutung hatte.
Alice allerdings war verwundert: „Ich habe keine Drei auf einen Zettel bei dir geschrieben, ganz sicher! Warum sollte ich das tun?“

„Das weiß ich doch nicht,“ antwortete Bob, „wahrscheinlich wolltest du dir etwas wichtiges merken. Vielleicht, dass du noch drei Äpfel kaufen wolltest…“
Plötzlich lachte Alice: „Dreh das Blatt mal um. Das ist keine Drei. Das ist ein E! Mir war plötzlich eingefallen, dass ich meiner Freundin Eva noch ein Geschenk machen muss!“

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Alice und Bob #2: Im Nebel

Alice und Bob joggten am Strand entlang und Bob sann noch ihrem letzten Gespräch über die Natur nach. Er sagte sich, dass dieser Strand und das Meer, wie sie waren, ganz sicher zur Natur zählten, denn auch sie waren ja im Laufe der Zeit so geworden, wie sie jetzt waren, ganz ohne (oder wenigstens fast ohne) Zutun der Menschen.

Plötzlich wurde es neblig, der Nebel war wohl unmerklich vom Wasser aufgestiegen und waberte nun über das Land.

Bob griff nach Alices Hand: „Ich sehe nichts!“. Spöttisch zog Alice ihre Hand zurück: „Du siehst noch den Sand zu deinen Füßen, und da, die Wellen siehst du auch noch. Sand und Wellen sind nicht Nichts.“

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Woraus besteht die Welt? – Einführung.

Woraus die Welt besteht, darüber haben wir im Alltag ein intuitives, einfaches Verständnis. Da sind die Dinge der gegenständlichen Welt, zu denen in gewisser Weise auch die Pflanzen, Tier und Menschen gehören. Da sind die Erzeugnisse der Gesellschaft und der Kultur: Geschichten, Gruppen von Menschen, Theaterstücke, Ausstellungen, Fußballspiele, Staaten und Regierungen. Bei manchen davon gibt es eine gewisse Doppeldeutigkeit, Bücher z.B. sind auf physische Gegenstände. Es gibt Ehepartner, Freunde und Regierungschefs. Sodann gibt es etwas, das weniger gut greifbar ist, wie etwa die Liebe, die Liebe zwischen zwei konkreten Menschen, die Freiheit und meine persönliche Freiheit. Es gibt noch weiteres.

Es scheint im Alltag nicht nur unproblematisch, dass es all das gibt, es erscheint auch unproblematisch, dass es entsteht und verschwindet. Es ist zudem meistens unproblematisch, etwas zu erkennen, einen Menschen z.B. als Freund zu identifizieren, ein Kind als Menschen, eine Gruppe als Organisation, eine Pflanze als sterbend oder verdorrt.

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Die Dinge

  1. Ich beginne mit dem einfachsten Ding, welches meine Erfahrung vom Ding vielleicht auch als erstes geprägt hat. Ein Stein vielleicht. Ich kann ihn aufheben, drehen und wenden, spüre seine Oberfläche, sie ist glatt und kalt ich höre etwas, wenn ich ihn fallen lasse. Ich habe von Anfang an eine vielfältige sinnliche Erfahrung. Es ist wichtig, darauf zu achten. Der Stein wird als Ding und als Stein nur von mir wahrgenommen, wenn ich ihn aufhebe, anfasse, etwas mit ihm mache und diese Beschäftigung mit dem Stein mit allen Sinnen erlebe. Den Stein erlebe ich als Stein nicht durch das bloße Ansehen, sondern durch das Hantieren mit ihm, indem ich beobachte, was ich tue, indem ich meinen Umgang mit dem Stein erlebe.
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Unbegrenztes und Unendliches

Spätestens bei Aristoteles (Metaphysik 1006a, beim Verweis auf den unendlichen Regress) wird das Unbegrenzte mit dem Unendlichen identifiziert. Bei Anaximander, der das ἄπειρον (Negation von „Begrenztes“) als ἀρχή (Ursprung, Prinzip, Anfang) auffasst, muss diese Identifikation nicht unbedingt angenommen werden. Das Unbegrenzte als Prinzip, das ist verständlich, wenn man es so versteht, dass die Dinge grundsätzlich keine festen oder klaren Grenzen haben, dass sie ineinander übergehen, dass es Zonen des Übergangs gibt. Wenn Heraklit sagt, dass man die Grenzen der Seele nicht ausfindig machen kann, dann sagt er nicht, dass die Seele unendlich sei, denn er ergänzt, das, was man über sie sagen kann (ihr λόγος habe eine zu große Tiefe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, unbegrenzt und doch nicht unendlich zu sein.

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Heidegger und das Entdecken

Wahrheit als Unverborgenheit aufzufassen ist ein Thema, welches Heidegger durch sein ganzes Denken über Jahrzehnte begleitet hat. In Sein und Zeit wendet er sich dem Charakter der Wahrheit in §44 a zu. Dort wird (GA2, 288) die Bewährung einer Aussage in ihrem Entdeckend-Sein eingeführt. Eine Aussage ist wahr, wenn sie etwas in seinem Sein entdecken lässt.

Die Aussage ist wahr, bedeutet: sie entdeckt das Seiende an ihm selbst. Sie sagt aus, sie zeigt auf, sie ‚lässt sehen‘ … das Seiende in seiner Entdecktheit. Wahrsein (Wahrheit) der Aussage muss verstanden werden als entdeckend-sein.

(GA2, 289)

Von da aus nähert sich Heidegger dem Begriff der ἀλήθεια mit dem Verweis auf Aristoteles und das Fragment 1 des Heraklit.

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Begriffe und Erkenntnis

Kant sagt „Anschauungen ohne Begriffe sind blind“. Das heißt, „sehen“ können wir in unseren Anschauungen nur etwas, wenn wir (zuvor schon) Begriffe davon haben (oder diese in der Anschauung bilden). Was bedeutet das für unsere Fähigkeit zur Erkenntnis? Im folgenden ein Fragment zur „epistemischen Relevanz“ der Kant’schen Einsicht.

Wenn man fragt, ob Begriffe unsere Anschauungen zwingend vorstrukturieren und welche Relevanz das für unsere Möglichkeiten der Erkenntnis hat, muss man meiner Meinung nach unbedingt klären, von welcher Erkenntnis man spricht, genauer, was die „Gegenstände“ der Erkenntnis sind (ich setze „Gegenstände“ in Anführungszeichen, weil schon der Ansatz, dass es Gegenstände sind, durch die Begrifflichkeit der Anschauung vorbestimmt sein könnte).

Durch die begriffliche Prägung der Anschauung konstituiert sich der Gegenstand im Geist. Man kann m.E. sagen, dass Kants Satz wichtige Vorläufer oder zumindest Nachbarn etwa in Parmenides‘ τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι sowie in Berkeleys Esse est percipi – denn in beiden Sätzen wird ausgesprochen, dass das Sein eines Gegenstands erst in der Wahrnehmung entsteht. Durch die Wahrnehmung eines Gegenstands wird dieser konstituiert, und dieser Konstitutionsakt wird begrifflich vollzogen durch Sätze wie „Dies ist ein F“ oder „Dort geschieht (mit jenem F) ein x“. Aus dem folgt dann „Es gibt Fe“ und „Mit Fen geschieht unter gewissen Bedingungen x) – Alles Sätze über das Sein von „Gegenständen“, die in der Wahrnehmen begrifflich konstituiert werden.

Und wenn man nun Wahrnehmung als etwas versteht, was immer vorgeprägt ist durch Begriffe F und x, und dass diese (Vor-)Prägung unsere epistemischen Möglichkeiten hinsichtlich von F-Gegenständen und x-Ereignissen bestimmt, dann stellt sich die Frage, worüber unsere Erkenntnis überhaupt spricht.

1. Über irgendwas da draußen, das „wirklich“, „real“ F und x „ist“?

2. über die im Geist konstituierten Phänomene F und x?

3. über intersubjektiv erzeugte sprachliche „Gegenstände“, die nicht nur im Geist als begrifflich konstituierte Gegenstände erscheinen  sondern in einem Gespräch unter Sprachverwendern, die der gleichen Rationalität folgen, gerechtfertigt werden können?

Ich selbst tendiere zur Antwort 3, die auf 2 basiert. Ich meine, dass wir über unsere begrifflich konstituierten Gegenstände, die für uns sind, sehr viel sicheres Wissen erlangen können, wenn wir dieses zudem intersubjektiv rechtfertigen. In diesem Zusammenhang vermute ich, dass Hansen auch eher an intersubjektive Rechtfertigung gedacht hat als Kant, wenn er statt „Begriff“ auf „linguistic‘ verweist: Auch wenn wir Begriffe zumeist sprachlich erwerben (und damit von und mit Anderen), hat am Ende doch das einzelne geistige Subjekt den Begriff. Sprache hingegen verweist notwendig auf intersubjektive Verständigung. Eine Epistemologie, die vertritt, dass Wissen über etwas „draußen in der Welt“ erlangt wird, hat natürlich ein Problem mit Kants Satz und allen seinen Verwandten, Nachfolgern und Vorläufern. Eine Epistemologie, die sich auf subjektiv und intersubjektiv verfügbare Phänomene konzentriert, hat diese Probleme nicht. Sie muss deshalb nicht „streng idealistisch“ sein, sondern kann sagen, dass Erkenntnis über „die Wirklichkeit da draußen“ immerhin aussagt, dass diese irgendwie so sein muss, dass sie unter gleichen Umständen wiederholte Wahrnehmungen und Anschauungen ermöglicht, die begrifflich strukturierbar sind. Dass diese begriffliche Struktur sich wandelt, dass inkommensurable Alternativen möglich sind, dass ihre Anwendbarkeit begrenzt ist, ist dann völlig unproblematisch.

Die Herkunft der digitalen Welt

Digitalisierung ist in aller Munde. Aber wo kommt der Trend zur digitalen Welt her? Warum wollen oder müssen wir alles digitalisieren? Darüber habe ich einen Aufsatz geschrieben, der in der Zeitschrift für Kulturphilosophie (2018/1) erschienen ist. Darin heißt es u.a.:

Die These dieses Aufsatzes lautet, dass nicht die Computerisierung, Virtualisierung und elektronische Vernetzung erst eine digitale Welt geschaffen und deren Existenzweisen hervorgebracht haben, sondern dass umgekehrt eine schon lange digitalisierte Welt sich ihre Technik gefordert und geschaffen hat, die wir heute überall als dominante Digitalisierung wahrnehmen.

Das Manuskript einer Vorab-Version kann hier heruntergeladen werden:
Die Herkunft der digitalen Welt.

Schönheit und Geist

Das Erkennen des Schönen ist zweifach. Zuerst ist da die Möglichkeit, etwas ganz spontan, ohne Erklärung und intuitiv als Schön zu erkennen. Dann gibt es aber auch die Möglichkeit, das Schöne zu erkunden, zu entdecken und es erst allmählich als schön zu erkennen. Ich stehe vielleicht ratlos vor einem abstrakten Bild, und jemand erklärt mir, was er daran schön findet, was ihm daran ästhetische Freude bereitet.[i] Er wird mich auf dieses und jenes hinweisen und mich fragen: „Siehst du das? Siehst du, wie schön das ist?“ und irgendwann werde ich es entdecken. Das verweist darauf, dass auch das Erkennen der Schönheit eine gemeinschaftliche Erfahrung ist. Wir können uns das Erfahren von Schönheit voneinander abschauen, und womöglich würde ein Mensch, dem Schönes nie gezeigt wurde, auch niemals Schönes erkennen und erleben. Das können wir aber hier dahingestellt sein lassen, denn auf jeden Fall kann ich, wenn ich mich darauf einlasse und wenn ich es will, von einem anderen lernen, was schön ist.

Allerdings ist dieses Lernen nicht auf formal-rationale Weise möglich. Wir können zwar analysieren und lernen, was in einer Kultur zu einem schönen Ding dazu gehört, aber indem wir diese Merkmale in dem Ding ausfindig machen, erleben wir die Schönheit gerade nicht. Zwar kann uns jemand auf die besonders schönen Proportionen eines Bildes hinweisen, aber ob ich dann wirklich sehe, dass diese Proportionen das ganze Bild schön machen, bleibt fraglich. Das Erlebnis des Schönen erlerne ich von jemandem, indem ich mich auf sein Erleben einlasse. Wenn Bob zu Alice sagt, „Schau, wie schön die Farben dort ineinander wechseln“ dann kommt es für Alices Miterleben des Schönen weniger darauf an, was Bob sagt, sondern wie er es sagt, wie er Alice durch sein Hinweisen in das Erleben der Schönheit der Farbübergänge hineinzieht. Alice wird die Schönheit womöglich dieses Farbenspiels womöglich nie erkennen können, wenn Bob nur formal und rational über den graduellen Wechsel der Farben doziert. Sie wird aber möglicherweise die Schönheit sehen lernen, wenn sie sich von Bobs Begeisterung, wie man sagt, anstecken lässt, wenn sie erlebt, wie er die Schönheit erlebt. Schönheit erleben lernen kann man am Besten indem man ein Erlebnis des Schönen teilt. Es kommt nicht auf das Erörtern der Merkmale des Schönen an, sondern auf die gemeinsame Erfahrung, das „Überspringen des Funkens“. „Schönheit und Geist“ weiterlesen

Wider Heideggers Durchschnittlichkeit

Was ist die Prüfinstanz der phänomenologischen Beschreibung? Folgt man Husserl, dann ist es die Nachvollziehbarkeit dessen, was die Beschreibung sichtbar macht, durch andere. Eine phänomenologische Beschreibung soll etwas sichtbar machen, und sie tut dies zunächst für den, der das Phänomen zu sehen vermeint und es beschreibt. Die Beschreibung hat das Ziel, das Phänomen bei anderen ebenfalls deutlich vor Augen treten zu lassen. Phänomenologie ist in so fern auf der einen Seite ein einsames Geschäft, da es immer der einzelne Phänomenologe ist, der durch Reflexion auf seine Bewusstseinsinhalte und durch kritische Analyse dieser Inhalte zu einer Beschreibung von Phänomenen gelangt. Indem er diese aber aufschreibt und ins phänomenologische Gespräch bringt, setzt er sie der Überprüfung durch andere reflektierende Personen aus – erst in diesem Gespräch bewährt sich die phänomenologische Beschreibung. „Wider Heideggers Durchschnittlichkeit“ weiterlesen