Kant sagt „Anschauungen ohne Begriffe sind blind“. Das heißt, „sehen“ können wir in unseren Anschauungen nur etwas, wenn wir (zuvor schon) Begriffe davon haben (oder diese in der Anschauung bilden). Was bedeutet das für unsere Fähigkeit zur Erkenntnis? Im folgenden ein Fragment zur „epistemischen Relevanz“ der Kant’schen Einsicht.
Wenn man fragt, ob Begriffe unsere Anschauungen zwingend
vorstrukturieren und welche Relevanz das für unsere Möglichkeiten der Erkenntnis
hat, muss man meiner Meinung nach unbedingt klären, von welcher Erkenntnis man
spricht, genauer, was die „Gegenstände“ der Erkenntnis sind (ich setze
„Gegenstände“ in Anführungszeichen, weil schon der Ansatz, dass es Gegenstände
sind, durch die Begrifflichkeit der Anschauung vorbestimmt sein könnte).
Durch die begriffliche Prägung der Anschauung konstituiert
sich der Gegenstand im Geist. Man kann m.E. sagen, dass Kants Satz wichtige
Vorläufer oder zumindest Nachbarn etwa in Parmenides‘ τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν
τε καὶ εἶναι sowie in Berkeleys Esse est percipi – denn in beiden Sätzen wird
ausgesprochen, dass das Sein eines Gegenstands erst in der Wahrnehmung
entsteht. Durch die Wahrnehmung eines Gegenstands wird dieser konstituiert, und
dieser Konstitutionsakt wird begrifflich vollzogen durch Sätze wie „Dies ist
ein F“ oder „Dort geschieht (mit jenem F) ein x“. Aus dem folgt dann „Es gibt
Fe“ und „Mit Fen geschieht unter gewissen Bedingungen x) – Alles Sätze über das
Sein von „Gegenständen“, die in der Wahrnehmen begrifflich konstituiert werden.
Und wenn man nun Wahrnehmung als etwas versteht, was immer
vorgeprägt ist durch Begriffe F und x, und dass diese (Vor-)Prägung unsere
epistemischen Möglichkeiten hinsichtlich von F-Gegenständen und x-Ereignissen
bestimmt, dann stellt sich die Frage, worüber unsere Erkenntnis überhaupt
spricht.
1. Über irgendwas da draußen, das „wirklich“, „real“ F und x
„ist“?
2. über die im Geist konstituierten Phänomene F und x?
3. über intersubjektiv erzeugte sprachliche „Gegenstände“,
die nicht nur im Geist als begrifflich konstituierte Gegenstände
erscheinen sondern in einem Gespräch unter Sprachverwendern, die der
gleichen Rationalität folgen, gerechtfertigt werden können?
Ich selbst tendiere zur Antwort 3, die auf 2 basiert. Ich
meine, dass wir über unsere begrifflich konstituierten Gegenstände, die für
uns sind, sehr viel sicheres Wissen erlangen können, wenn wir dieses
zudem intersubjektiv rechtfertigen. In diesem Zusammenhang vermute ich, dass
Hansen auch eher an intersubjektive Rechtfertigung gedacht hat als Kant, wenn
er statt „Begriff“ auf „linguistic‘ verweist: Auch wenn wir Begriffe zumeist
sprachlich erwerben (und damit von und mit Anderen), hat am Ende doch
das einzelne geistige Subjekt den Begriff. Sprache hingegen verweist notwendig
auf intersubjektive Verständigung.
Eine Epistemologie, die vertritt, dass Wissen
über etwas „draußen in der Welt“ erlangt wird, hat natürlich ein Problem mit
Kants Satz und allen seinen Verwandten, Nachfolgern und Vorläufern. Eine Epistemologie,
die sich auf subjektiv und intersubjektiv verfügbare Phänomene konzentriert,
hat diese Probleme nicht. Sie muss deshalb nicht „streng idealistisch“ sein,
sondern kann sagen, dass Erkenntnis über „die Wirklichkeit da draußen“ immerhin
aussagt, dass diese irgendwie so sein muss, dass sie unter gleichen Umständen
wiederholte Wahrnehmungen und Anschauungen ermöglicht, die begrifflich
strukturierbar sind. Dass diese begriffliche Struktur sich wandelt, dass
inkommensurable Alternativen möglich sind, dass ihre Anwendbarkeit begrenzt
ist, ist dann völlig unproblematisch.