Ich finde den Vergleich zwischen Philosophie und Handwerk bedenkenswert, weil er womöglich auch etwas über den Charakter des Handwerks zutage bringt. Ich gehe einmal von der Deutung des Begriffs Handwerk eher als Kunsthandwerk, als sicheres und verständigtes Können, als Kunstfertigkeit aus, nicht in der abschätzigen Verwendung von „bloßem Handwerk“ das sich irgendwie jeder mal eben vom anderen abschauen und damit aneignen könnte. Handwerk also als das, was Aristoteles mit τέχνη (techne, Technik) benannt hat. techne ist begründbares und damit lehrbares Können. Man meint oft, es sei das, was in Lehrbüchern steht. Es gibt dann einen Lehrer, der es einem beibringt, und am Ende kann der Schüler die Techniken auf die gleiche Weise anwenden, wie der Lehrer, und auf diese Weise bei gleichen Aufgaben zu gleichen Ergebnissen kommen.
Das wäre aber nicht mein Verständnis von Philosophie als techne. Wer Philosophieren lernt, schaut sich nicht die Techniken anderer Philosophen ab. Er wird zwar versuchen, diese zu verstehen, nachzuvollziehen, und das muss auch möglich sein, sonst wäre es kein begründetes, erklärbares Können. Ins Philosophieren kommen heißt aber, eigene Techniken des Denkens zu entwickeln, die zwar verwandt sein mögen mit denen von anderen, aber wohl nie identisch. Das liegt daran, dass das Denken selbst, also die Ausführung der philosophierenden Technik, ja unmittelbar reflektierend selbst der Gegenstand des Philosophierens ist. Die Technik eines anderen anzuwenden, hieße nur, das gleiche nochmal zu denken, was der schon gedacht hat. Das ist sicher lehrreich, aber noch kein Philosophieren.
Es könnte aber sein, dass die obige Beschreibung, wie Handwerk gelehrt und gelernt wird, selbst falsch ist. Wer eben ein Kunsthandwerk lernt, wird auch schauen, wie andere Künstler (für Aristoteles waren Künstler und Techniker ja vermutlich noch dasselbe, in diesem Sinn meine ich hier Künstler) arbeiten, wie sie ihre Ziele erreichen. Für sein je eigenes Werk wird der verständige Kunsthandwerker aber eben seine eigenen Techniken entwickeln, die sein Werk eben auch auf einzigartige Weise prägen.
Womöglich ist es sinnvoll, beim Handwerk zwischen Technik und Methode zu unterscheiden und die Alten Griechen mit den ursprünglichen Bedeutungen ernst zu nehmen. τέχνη (techne) ist begründete Kunstfertigkeit, μέθοδος ist aus μετά (meta, nach) und
ὁδός (hodos, Weg) zusammengesetzt und bedeutet also das Nachgehen eines Weges. Handwerk hat beide Aspekte, Philosophieren als Praxis ist natürlich techne, aber nur beim Lernen, beim Studieren ist es auch Methode.