Wissenschaft als Theoriendynamik

Die philosophische Reflexion über das Wesen der modernen Wissenschaft hält sich in einem Spannungsbogen zwischen der Wissenschaftstheorie auf der einen Seite und Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftsgeschichte auf der anderen. Das Spektrum der Standpunkte ist groß und die Ansätze, ein Verständnis dessen zu entwickeln, was in allem Tun und allen Ergebnissen von Wissenschaftlern in den wissenschaftlichen Institutionen und im wissenschaftlichen Betrieb sich als grundlegendes Wissenschaftliches durchzieht, gehen in diesem Spektrum fließend ineinander über. Deshalb kann hier kein erschöpfendes Bild des gegenwärtigen Standes der Debatte gegeben werden. Exemplarisch werde ich in den nächsten Abschnitten einige Autoren zitieren, vor allem um deutlich zu machen, wie die Vielfalt der philosophischen Versuche selbst zustande kommt und was ihre Voraussetzungen und Grenzen zur Bestimmung des Wissenschaftlichen sind. Es geht mir dabei nicht darum, die verschiedenen Möglichkeiten, das Wissenschaftliche philosophisch zu fassen, zu beschreiben und etwa ihren deskriptiven oder normativen Umfang zu beurteilen, vielmehr ist es mein Ziel, aus den vorhandenen Ansätzen abzuleiten, anhand welcher Art von Kriterien etwas wie das Wissenschaftliche überhaupt umgrenzt werden kann, als was für ein Begriff sich das Wissenschaftliche damit herausstellt und was schließlich mit ihm bezeichnet werden kann.  

Auch wenn die einzelnen Autoren jeweils klar erkennbare und von anderen unterscheidbare Ansätze, das Wissenschaftliche zu erfassen, entwickelt haben, so können wir doch recht genau jeweils gewisse zusammenhängende Prämissen und Annahmen erkennen, die zu einer charakteristischen Position in dem genannten Spektrum zwischen Wissenschaftstheorie und Wissenschaftssoziologie führen. Um diese Prämissen und Annahmen geht es im Folgenden, denn aus ihnen und ihren Begrenzungen werde ich ableiten, wie es überhaupt möglich ist, einen bestimmten konsistenten Begriff des Wissenschaftlichen zu entwickeln, an den sich später kompatible Begriffe des Technischen und des Politischen anschließen lassen.

Ein Spektrum zeichnet sich dadurch aus, dass die einzelnen Orte einen gewissen Abstand zwischen zwei Endpolen haben, und dass sie untereinander wiederum eine Nähe zueinander haben können, wobei zwei, die sich nahe sind, von den Endpolen ungefähr den gleichen Abstand haben. Worin zeigt sich eine solche Nähe der Positionen? Was auf den weiteren Seiten konkret gezeigt und differenziert werden wird, möchte ich hier schon einmal skizzieren, damit deutlich wird, warum das Bild eines Spektrums oder Spannungsbogens überhaupt tragfähig ist.

Die philosophische Annäherung an ein Phänomen wie die Wissenschaften kann einerseits ihre Ergebnisse oder Produkte ins Zentrum der Reflexion stellen oder sich andererseits das Handeln, die Praxis der Wissenschaftler zum Gegenstand machen. Das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit, wenn sie gelingt, ist eine bestimmte Art von Wissen, das Tun der Wissenschaftler wiederum ist die Wissensproduktion, das Herstellen dieser bestimmten Art von Wissen. „Wie sieht wissenschaftliches Wissen aus?“ ist die erste Frage, die für das Erkennen von Wissenschaft sinnvoll gestellt werden kann. „Was tun Menschen, die wissenschaftliches Wissen produzieren?“ wäre die andere Frage. Karl Popper als einer der Stammväter der Wissenschaftstheorie hat sich in seinem Klassiker, der Logik der Forschung ausdrücklich für die erste Frage entschieden (2005, 7), und in jüngster Zeit hat etwa Paul Hoyningen-Huene  eine Antwort auf die Frage „Was ist Wissenschaft?“ zu geben versucht, indem er sich auf wissenschaftliche Wissen konzentrierte: „I will mostly deal with the epistemic aspects of science, i.e. science in the sense of scientific knowledge.“ (2013, 9) Dem gegenüber nehmen Wissenschaftssoziologen und -historiker wie etwa Bruno Latour, Steve Woolgar oder Steven Shapin das praktische Handeln der Wissenschaftler in den Blick (Latour und Woolgar 1986, 27, Shapin 2008, XV). Wenn wir daraus als vorläufiges Kriterium zur Einordnung ableiten, dass Wissenschaftstheorie die Wissenschaften von ihren Theorien her zu verstehen versucht, in denen das wissenschaftliche Wissen dokumentiert ist, während Wissenschaftssoziologie von der wissenschaftlichen Praxis aus startet, so bedeutet das nicht, dass im wissenschaftstheoretischen Begriff des Wissenschaftlichen die Praxis, etwa das Experimentieren oder das Beobachten, keine Rolle spielt oder das andererseits die Wissenschaftssoziologie sich nicht dafür interessieren würde, was am Ende bei der Arbeit der Wissenschaftler herauskommt. Gleichwohl sind aber durch die verschiedenen Ausgangspunkte weitere Schwerpunkte mitbestimmt.

Aus der Konzentration der Wissenschaftstheorie auf die Frage, was Theorien in den Wissenschaften ausmacht und was sie leisten, leitet sich eine zurückhaltende, möglichst passive Rolle des Wissenschaftlers gegenüber seinem Gegenstand ab. Wissenschaftler sind hier zunächst eben Theoretiker, die ihren Gegenstand, etwa die Natur, zu erklären versuchen, möglichst ohne ihn zu stören. Wissenschaftssoziologen, die von der praktischen Tätigkeit etwa der in Labors experimentierenden Wissenschaftler ausgehen, sehen als erstes den verändernden, stabilisierenden oder vereinfachenden Eingriff in den Gegenstand, und Theorie kann für sie damit kaum den ungestörten, sondern immer nur den im Experiment umgeformten Gegenstand, letztlich sogar nur das Experiment selbst beschreiben.

Ebenfalls aus der Fokussierung auf die Theorie ergibt sich, dass die Wissenschaftstheorie den Wissenschaftler selbst als eine mehr oder weniger idealisierte Person darstellt, die im Wesentlichen nichts anderes tut, als wissenschaftlich zu arbeiten. Vorstellbar ist dabei letztlich sogar ein einzelner Wissenschaftler, der etwa Theorien aufstellt, entwickelt, prüft und verwirft oder weiter entwickelt. Die Tatsache, dass Wissenschaft in einem sozialen Zusammenhang stattfindet, wird von der Wissenschaftstheorie zwar nicht vollständig ignoriert, sie kommt aber vor allem deshalb zur Geltung, weil der Gegenstand der Wissenschaft die Fähigkeiten des Einzelnen überfordert oder weil der Einzelne nun einmal kein idealer Wissenschaftler ist, und seine Schwächen und Mängel durch Kritik und Korrektur anderer Wissenschaftler ausgeglichen werden muss.

Wer sich umgekehrt von der Praxis her den Wissenschaften nähert, der sieht von Beginn an eine Gemeinschaft, einen Betrieb, eine gesellschaftliche Organisation am Werke. Das impliziert zweierlei: Zum einen sieht die Wissenschaftssoziologie die Wissenschaften eingebunden in weitere, nicht-wissenschaftliche Restriktionen und Voraussetzungen, die die Wissenschaften wesentlich mit formen. Zum anderen begegnet dem Wissenschaftssoziologen nie ein idealer Wissenschaftler, sondern immer ein Mensch, der durch Leidenschaften, nicht-wissenschaftliche Ziele und Bedingtheiten geprägt ist, und dessen wissenschaftliches Arbeiten nie davon losgelöst betrachtet werden kann, dass es außerwissenschaftliche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen hat.

Vorläufig können wir also das Spektrum der philosophischen Reflexion über das Wissenschaftliche aufziehen zwischen einer theoretischen Erfassung eines wissenschaftlichen Gegenstandes durch Personen, die als mehr oder weniger ideale Wissenschaftler solche Theorien entwickeln auf der einen Seite, und einer praktischen Bearbeitung (oder Gewinnung) eines wissenschaftlichen Gegenstandes durch interessierte und gesellschaftlich eingebundene Menschen auf der anderen Seite. Aufgrund der Idealisierung oder Abstraktionen, die die Wissenschaftstheorie vornehmen muss, läuft sie immer Gefahr, die wirkliche Wissenschaft zu verfehlen, insbesondere die Disziplinen, die weit von den Idealen entfernt sind. Andererseits besteht für die Wissenschaftssoziologie das Risiko, dass sie durch die Hinzunahme aller denkbaren außerwissenschaftlichen Bedingungen des Handelns der Wissenschaftler die Besonderheiten des Wissenschaftlichen aus dem Blick verliert. Am Ende kann sie vielleicht etwas über kulturelle Praxis im Allgemeinen und am Beispiel von Wissenschaften sagen, findet aber keine Kriterien, an denen die offenbar intuitiv erkennbaren Unterscheidungen der Wissenschaften etwa zu religiösen, ökonomischen oder anderen gemeinschaftsstiftenden Tätigkeiten festzumachen wären.

Diese hier zunächst thesenhaft vorgestellten Unterscheidungen werden wir in den nächsten Abschnitten exemplarisch prüfen. Dabei dürfen wir die Gefahr nicht unterschätzen, dass eine Arbeit, die sich die Analyse von Verschränkungen des Wissenschaftlichen mit anderen Phänomenbereichen vorgenommen hat, möglicherweise fast selbstverständlich zu einem Standpunkt in der Nähe der wissenschaftssoziologischen Perspektive tendiert. Bei der Suche nach Kriterien des Wissenschaftlichen werden wir also die wissenschaftssoziologischen Ansätze besonders kritisch prüfen müssen.

Bei dieser Untersuchung folge ich drei Ideenbündeln, die wir in der wissenschaftsphilosophischen Debatte der letzten Jahrzehnte identifizieren können und zwischen denen eine Vielzahl von Verknüpfungen bestehen. Während Wissenschaftstheoretiker auf der einen Seite in erster Linie die Dynamik von Satzsystemen untersucht haben, die aus Hypothesen, Beobachtungssätzen und ähnlichem bestehen und letztlich wissenschaftliche Theorien konstituieren, steht auf der Seite der Wissenschaftssoziologie das soziale Verhalten der handelnden Personen, vor allem der Wissenschaftler, im Zentrum der Betrachtungen. Dazwischen, und mit diesen beiden Bündeln eng verknüpft, wurde ein Wissenschaftsverständnis entwickelt, das die Praxis des Experimentierens ins Zentrum rückt. Diese drei Grundideen sollen im Weiteren als Leitfaden dafür dienen, zu versuchen, einen konsistenten Begriff des Wissenschaftlichen zu erarbeiten.

In den 1930er Jahren begann eine intensive Beschäftigung einiger Philosophen mit der Frage, was wissenschaftliches Arbeiten eigentlich ausmacht. Die Philosophie fühlte sich sicherlich herausgefordert durch eine stürmische und revolutionäre Entwicklungsphase der theoretischen Physik, die ihren Anfang mit Albert Einsteins Formulierung der Speziellen Relativitätstheorie nahm und gefolgt wurde durch die Entwicklung der Quantenmechanik durch Bohr, Schrödinger und Heisenberg. Es stellte sich die Frage, wie die Wissenschaft von anderen menschlichen Tätigkeiten abgegrenzt werden könnte und ob es etwas gibt, was ihren Erfolg verständlich machte, ihre offenbar große Bedeutung für das Verstehen der Welt und für technische Entwicklungen, die die Menschen beeindruckten und das Leben erleichterten sowie enorme neue Möglichkeiten menschlicher Betätigung schufen.

Man kann die Rolle, die so verstandene Wissenschaften für die Gesellschaft, für die Menschen und für ihr Leben spielt, durchaus problematisch sehen oder als fragwürdig betrachten, darauf werden wir zurückkommen müssen. Eine Reihe von Philosophen, die sich in dieser Zeit für die Wissenschaften zu interessieren begannen, stand den wissenschaftlichen Disziplinen insbesondere der Naturwissenschaften jedoch grundsätzlich zustimmend gegenüber. Der Erfolg und die segensreiche Rolle für die Menschheit waren ihnen offensichtlich und es galt, diesen Erfolg verständlich zu machen, die Methoden zu beschreiben, die einen solchen Erfolg ermöglichten und durch die präzise Darstellung dieser Methoden selbst einen Beitrag zur Sicherung des wissenschaftlichen Fortschritts zu leisten.

Im Folgenden werde ich, ausgehend von Karl Poppers fundamentalem Beitrag zur Wissenschaftstheorie im 20. Jahrhundert, der Weg und das Spektrum dieses Feldes der philosophischen Auseinandersetzung mit den Wissenschaften exemplarisch nachzeichnen. Dabei werde ich Vollständigkeit weder hinsichtlich der Standpunkte noch hinsichtlich der Aspekte und Einzelfragen auch nur annähernd anstreben. Vielmehr werde ich diejenigen grundlegenden Thesen und Annahmen beleuchten, die zu einer konsistenten Synthese eines Konzepts des Wissenschaftlichen beitragen können.

Karl Poppers Forschungslogik

Unter den Denkern jener Zeit, die diesen Weg gingen, spielt Karl Popper und sein Werk Logik der Forschung eine zentrale Rolle. Der Klassiker der Wissenschaftstheorie erschien 1935 und erreichte bis 2005 elf Auflagen. Das Buch wurde dabei vom Autor immer wieder ergänzt und erweitert. In Vorworten zu neueren Auflagen sowie in umfangreichen Anhängen nahm Popper zu Kritiken Stellung und baute Ideen weiter aus.

Popper hat sich aber auch in anderen Werken zu wissenschaftstheoretischen Fragen geäußert und auf alternative philosophische Reflexionen über die Wissenschaften reagiert. Insbesondere finden sich kritische Auseinandersetzungen mit der Wissenschaftssoziologie im zweiten Band von Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, dort hat Popper auch seinen eigenen Standpunkt weiter entwickelt.

Für uns ist Poppers Antwort auf die Frage, was als wissenschaftlich anzuerkennen ist und was nicht, zunächst sekundär. Bedeutsam ist hingegen, worauf Popper und mit ihm viele Wissenschaftstheoretiker, die sich auf Popper beziehen, die ihn kritisieren oder seine Gedanken weiter entwickeln, oder die in Abgrenzung von Popper ganz eigenen Antworten entwickelt haben, die Frage nach dem Wissenschaftlichen überhaupt beziehen, was letztlich der zu befragende Gegenstand ist, der schließlich als wissenschaftlich anerkannt oder als vor- oder unwissenschaftlich ausgegrenzt wird.

Für Popper ist das „zentrale Problem der Erkenntnislehre […] das Problem des Wachstums oder des Fortschrittes unseres Wissens“ (2005, XX). Dass er diesem Fortschritt zustimmt und ihn durch seine Untersuchungen befördern möchte, sagt Popper ausdrücklich bereits im Vorwort der Logik der Forschung (vgl. 2005, XXIV).

Welcher Art ist das wissenschaftliche Wissen, welches Popper zufolge stetig wächst und fortschreitet? In der für ihn typischen Klarheit gibt Popper darüber gleich zu Beginn seiner Logik der Forschung Auskunft. Er charakterisiert die wissenschaftliche Forschungstätigkeit dadurch, dass sie darin besteht, „Sätze oder Systeme von Sätzen aufzustellen und systematisch zu überprüfen; in den empirischen Wissenschaften sind es insbesondere Hypothesen, Theoriensysteme, die aufgestellt und an der Erfahrung durch Beobachtung und Experiment überprüft werden“ (2005, 3).

Die Tätigkeit, welche Popper also daraufhin überprüfen will, ob sie das Attribut „wissenschaftlich“ verdient, ist die Produktion von Sätzen und Satzsystemen. Genauer gesagt, ist es nicht die Tätigkeit der Produktion dieser Satzsysteme, sondern die Struktur dieser Systeme und die Dynamik ihrer mehr oder weniger notwendigen Veränderung selbst. Man könnte ja zunächst meinen, dass somit auch etwa das Schreiben eines Romans, eines Zeitungsartikels oder einer politischen Rede, also die Erstellung eines jeden Textes, der aus zusammenhängenden Sätzen besteht, für die Prüfung auf ihre Wissenschaftlichkeit in Frage käme. Auch ein Schriftsteller und ein Dichter oder ein Politiker könnte ein wissenschaftlicher Forscher sein, dessen Tätigkeit als Aufstellen und systematische Überprüfung von Satzsystemen angesehen werden könnte.

Aber das Aufstellen und systematische Überprüfen von Satzsystemen ist nicht gleichzusetzen mit dem Schreiben eines Textes. Die Satzsysteme, denen Poppers Interesse gilt, bestehen aus „allgemeinen Sätzen“ und „besonderen Sätzen“ und diese sind durch „logische Schlüsse“ miteinander verbunden (ebd.). Sätze sind in diesen Systemen Aussagen, und diese haben eine bestimmte Gültigkeit, sie sind entweder allgemein, universell gültig, oder in besonderen, einzelnen Situationen. Das Aufstellen von Sätzen und Satzsystemen und ihre systematische Überprüfung ist eine Tätigkeit, die dafür sorgt, dass aus der Gültigkeit einiger Sätze die der anderen Sätze des Systems folgt und dass insgesamt ein System entsteht, welches ausschließlich aus Sätzen besteht, die zueinander nicht im Widerspruch stehen und die durch logisches Schließen auseinander abgeleitet werden können. So konstruierte Satzsysteme dokumentieren wissenschaftliches Wissen, oder anders gesagt: es gibt gewisse Verfahren, deren Anwendung garantiert, dass Satzsysteme entstehen, die Wissen dokumentieren, das den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erfüllt.

In dieser Sicht auf die wissenschaftliche Forschungstätigkeit ist Popper sich einig mit einer Reihe von Philosophen seiner Zeit, mit denen er sich in der Logik der Forschung auch besonders vehement auseinandersetzte, insbesondere den Mitgliedern des Wiener Kreises (Carnap, Reichenbach, Kraft, Schlick, vgl. die Fußnoten in Popper 2005, 4-12)[1]. Differenzen zwischen Popper und dem Wiener Kreis oder später allgemein den „Sprachanalytikern“ (mit denen Popper sich im Vorwort zur ersten englischen Ausgabe der Logik der Forschung von 1959 ausführlich beschäftigt) bestehen nicht darüber, dass in den Wissenschaften im Wesentlichen logisch konstruierte Satzsysteme aufgestellt werden. Die Meinungsverschiedenheiten bestehen darin, wie das Verfahren des Aufbauens dieser Satzsysteme gestaltet sein muss, damit es wissenschaftlich genannt werden kann, und wie die Verbindung der Satzsysteme mit der Erfahrung, der Beobachtung und dem Experiment, zu erfolgen hat.

Das Primat der Theorie

Aufgrund der bestimmenden Bedeutung, die Popper dem Aufstellen und systematischen Überprüfen von Satzsystemen in der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit gibt, ist es sicherlich gerechtfertigt, von einem Primat der Theorie in der Wissenschaftstheorie Poppers zu sprechen. Dies gilt in zweifachem Sinne. Erstens nimmt Popper an, dass das Erarbeiten von Theorien (eben den systematisch aufgebauten Satzsystemen) das vorrangige Ziel der wissenschaftlichen Forschung ist, dem andere Tätigkeiten, insbesondere die Beobachtung und das Experiment, zu dienen haben. Zweitens ist es eben auch der wesentliche Inhalt der wissenschaftlichen Arbeit, Theorien zu bilden, denen etwa das Beobachten und Experimentieren unterzuordnen sind, im besten Falle sind diese Tätigkeiten selbst Teil des Theoriebildungsverfahrens. Dies wird vor allem dort deutlich, wo Popper sein Verständnis des Zusammenhangs von Theorie und Experiment darstellt: „Der Experimentator wird durch den Theoretiker vor ganz bestimmte Fragen gestellt und sucht durch seine Experimente für diese Fragen und nur für sie eine Entscheidung zu erzwingen“ (2005, 84). Aus dem Satzsystem, welches in der theoretischen Forschungstätigkeit aufgestellt wurde, ergeben sich also Fragen, die das Experiment zu beantworten hat. Bevor der Experimentator überhaupt mit der Arbeit beginnen kann, „muss der Theoretiker seine wichtigste Aufgabe bereits gelöst haben: die Frage möglichst scharf zu formulieren. Er ist es, der dem Experimentator den Weg weist.“ (ebd.)

Ohne Theorie gibt es also für Popper überhaupt kein Experiment, den aus der Theorie wird die Frage abgeleitet, die das Durchführen eines Experiments überhaupt sinnvoll macht und die bestimmt, welches Experiment überhaupt durchzuführen ist: Das Experiment hat eine Aufgabe, die durch die Theorie bestimmt ist, es soll die Theorie überprüfen. Gäbe es keine wissenschaftliche Theorie, die zu ihrer Überprüfung eine experimentell beantwortbare Frage stellt, wäre das Durchführen von Experimenten sinnlos, jedenfalls, soweit es sich eben um wissenschaftliche Experimente handelt. „Experimentieren ist planmäßiges Handeln, beherrscht von der Theorie“ (2005, 268).

Die dominante Rolle, die Popper dem Theoretiker gegenüber dem Experimentator zuweist, ergibt sich natürlich aus dem Abgrenzungskriterium, welches Popper zufolge benötigt wird, um Wissenschaft von nichtwissenschaftlichen Tätigkeiten unterscheiden zu können. Dieses Abgrenzungskriterium besteht für Popper darin, dass Theorien falsifizierbar sein müssen, dass wissenschaftliche Satzsysteme so beschaffen sein müssen, dass aus ihnen Sätze folgen, die durch die Erfahrung, also durch Beobachtungen und Experimente, widerlegt werden können (2005, 16ff). Auf diese Weise wird es möglich, untaugliche Theorien, die von der Erfahrung widerlegt werden, auszusondern, und Theorien, die nicht durch die Erfahrung widerlegt werden können, zu bevorzugen. Dieses Verfahren löst Popper zufolge letztlich das zu Beginn der Logik der Forschung genannte Grundproblem, wie Wachstum von Wissen und Fortschritt möglich ist.

Natürlich kann man auch umgekehrt sagen, dass die Theoriendynamik auf Basis des Falsifikationsprinzips genau genommen nichts anderes ist als eine Erläuterung dessen, was Popper zunächst etwas unpräzise als Wachstum von Wissen und Erkenntnisfortschritt bezeichnet. Fortschritt bedeutet für Popper, dass immer neue Theorien entwickelt werden, aus denen sich mehr Sätze ableiten lassen als aus den bisherigen Theorien. „Die Entwicklung der Physik schreitet in der Richtung von weniger allgemeinen zu allgemeineren Theorien fort“ (2005, 264). Den Umfang der Sätze, die so gebildet werden können, setzt er offenbar mit „Wissen“ gleich. So ist verständlich, dass der Prozess der Falsifikation bisheriger Theorien durch experimentelle Widerlegung bei gleichzeitiger Bewährung neuerer Theorien, die durch das Experiment nicht widerlegt und somit vorläufig bestätigt werden, für Popper gewissermaßen die Lösung seines zentralen Problems der Erkenntnislogik, nämlich des Wachstums des Wissens und des Fortschritts der Wissenschaften, bedeutet. Ob dieser Begriff von Wissen an alltagssprachliche oder herkömmlich-philosophische Verwendungsweisen anschlussfähig ist, bleibt fragwürdig, wir können diese Frage hier jedoch nicht diskutiert. Fragwürdig bleibt auch, ob dieser Wissensbegriff wenigstens umfassend genug ist, um die Verwendungsweisen innerhalb der Wissenschaften hinreichend abzudecken, darauf werde ich später zurückkommen.

Der soziale Aspekt in der Forschungslogik

Wer ist bei Popper nun das Subjekt des Wissens, wer bringt die Wissenschaft voran? Die Frage scheint trivial beantwortbar. Es sind die Wissenschaftler, in erster Linie diejenigen, die Hypothesen aufstellen und aus ihnen empirisch überprüfbare spezielle Sätze ableiten. Es sind also die Theoretiker, aber auch diejenigen, die diese Sätze dann logisch oder empirisch überprüfen, mithin sind die Experimentatoren, soweit sie sich bemühen, „den Versuch so einzurichten, dass er gegenüber einer Frage“ (Popper 2005, 84, Hervorhebung im Original) eine möglichst klare Antwort erlaubt, darin eingeschlossen. Die menschlichen Eigenschaften, Ziele und Wünsche interessieren Popper allerdings ausdrücklich nicht, vor allem auch nicht die persönliche Kreativität oder der Einfallsreichtum und deren Quellen. Für das Verständnis von Wissenschaft ist seiner Meinung nach eine „Ausschaltung des Psychologismus“ (2005, 7) erforderlich. Demzufolge bleiben die Wissenschaftler als Menschen bei Popper konturlos, er zeichnet ein mehr oder minder ideales, besser noch, ein reines Bild vom Wissenschaftler. Somit wäre eigentlich auch ein einzelner, nach der wissenschaftlichen Methode arbeitender Wissenschaftler möglich, der Hypothesen aufstellt, empirisch prüfbare Sätze ableitet, Experimente durchführt und daraus Falsifikationen oder vorläufige Bestätigungen von Theorien ableitet. Wissenschaft wäre somit für Popper nicht zwingend eine soziale Angelegenheit.

So einfach liegen die Dinge allerdings nicht. Popper schreibt: „Die Objektivität der wissenschaftlichen Sätze liegt darin, dass sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen.“ (2005, 21, Hervorhebungen im Original). Intersubjektives Nachprüfen bedeutet, dass ein Wissenschaftler seine Schlussfolgerungen und Ergebnisse so beschreibt, dass ein anderer Wissenschaftler sie überprüfen kann, und damit kommt die Gemeinschaft der Wissenschaftler ins Spiel.  Aber genau besehen beschreibt die Formulierung „intersubjektiv nachprüfbar“ keinen tatsächlich notwendigen sozialen Prozess, sondern eine Eigenschaft der Sätze innerhalb eines wissenschaftlichen Satzsystems. Sie bedeutet wegen der geforderten Ausschaltung des Psychologismus gerade, dass sie keinerlei Wünsche, Zweifel oder Forderungen eines Subjekts enthalten, sondern dass sie so formuliert sind, dass sie ganz ohne Kenntnis des Wissenschaftlers, der sie aufgeschrieben hat, und seiner konkreten persönlichen und sozialen Situation überprüft werden können. Streng genommen kann auch ein einziger Wissenschaftler das Kriterium der „intersubjektiven Überprüfbarkeit“ seiner Theorien sicherstellen. Popper fordert ja gerade, dass jeder Wissenschaftler so arbeitet, und er hält solches Arbeiten auch für eine Selbstverständlichkeit, etwa, wenn er schreibt: „Kein ernster Physiker wird je jene ‚okkulten Effekte‘, zu deren Reproduktion er keine Anweisungen geben kann, der wissenschaftlichen Öffentlichkeit als Entdeckung unterbreiten“ (2005, 22). Somit ist der Forderung der intersubjektiven Überprüfbarkeit auch damit genüge getan, wenn ein Wissenschaftler etwa nach einer gewissen Zeit seine eigenen Aufzeichnungen wieder zur Hand nimmt und dies – ohne sich an seine Überzeugungen, Hoffnungen oder Beobachtungen beim Aufzeichnen zu erinnern, überprüfen kann.

In seiner Auseinandersetzung mit der „Wissenssoziologie“ kommt Popper auf die „sozialen Aspekte des Wissens oder vielmehr der wissenschaftlichen Methode“ (Popper 2003, 253) zurück und erläutert explizit, „dass die Objektivität eng zusammenhängt mit dem sozialen Aspekt der wissenschaftlichen Methode“ (254). Popper räumt hier ein, dass Wissenschaftler durchaus von subjektiven Überzeugungen getrieben sein können, die ihnen selbst die objektive (also quasi-intersubjektive) Überprüfung ihrer Theorien verwehrt. Die wissenschaftliche Methode, der alle Wissenschaftler anhängen, aber sorgt dafür, dass dies den Fortschritt der Wissenschaft nicht aufhalten kann. Wissenschaftler werden gerade von festen Überzeugungen zur Kritik herausgefordert, und sie scheuen dabei auch vor Autoritäten nicht zurück. Dass diese kritische Methode nicht durch subjektive Eigenschaften von Menschen gestört wird, dafür sorgen „die verschiedenen sozialen Institutionen, die zur Förderung der wissenschaftlichen Objektivität und Kritik ersonnen wurden“ (2003, 255), dazu zählt Popper Laboratorien, wissenschaftliche Zeitschriften und Kongresse. Dass solche Institutionen selbst hingegen auch Gegenstand außerwissenschaftlicher Bestrebungen, etwa Mittel zum Erreichen ökonomischer oder politischer Ziele sind, ist für Popper kein Thema, darauf wird später zurückzukommen sein.

Auch hier sieht Popper also von den sozialen Einbindungen und Prägungen der Wissenschaftler ausdrücklich ab, auch wenn er nunmehr wissenschaftliche Objektivität ausdrücklich ansieht als ein „Produkt des sozialen oder öffentlichen Charakters der wissenschaftlichen Methode; und die Unparteilichkeit des Wissenschaftlers ist […] das Ergebnis dieser sozial oder institutionell organisierten Objektivität der Wissenschaft“ (2003, 257).[2]

Ist Poppers Forschungslogik deskriptiv?

Das Soziale und Öffentliche der Wissenschaft findet laut Popper also in Institutionen statt, die so ersonnen und organisiert sind, dass sie die wissenschaftliche Methode garantieren. Diese Institutionen werden von Wissenschaftlern bevölkert, die der wissenschaftlichen Methode verpflichtet und durch die Institutionen auch so geprägt sind, dass sie entsprechend der Methode verfahren.

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werde ich für ein konsistentes Verständnis des Wissenschaftlichen an diese Vorstellungen kritisch anknüpfen. Hier werden wir zunächst die Ausführungen Poppers zu den wissenschaftlichen Institutionen und zum Agieren der Wissenschaftler in den Institutionen daraufhin prüfen, ob es Poppers Wissenschaftsverständnis letztlich deskriptiv oder normativ zu verstehen ist. Wir werden untersuchen, ob sein Wissenschaftsbegriff die Realität abbildet oder abzubilden versucht, oder ob Popper Normen entwickelt, nach denen soziale Institutionen und Handlungen von Personen letztlich als wissenschaftliche zu bezeichnen wären, und damit der Funktion der Wissenschaften, das Wissen zu vermehren und den Fortschritt zu sichern, gerecht werden könnten. Diese Frage ist für die vorliegende Untersuchung nicht unerheblich, denn letztlich muss auch für den hier entwickelten Begriff des Wissenschaftlichen bestimmt werden, ob er eine deskriptive Beschreibung von etwas real vorhandenem, eine Norm, nach der sich die Realität zu richten hätte, wenn sie bestimmten zwecken genügen wollte, oder irgendetwas jenseits der Deskriptiv-Normativ-Dichotomie sein möchte.

Poppers Formulierungen selbst legen es nahe, dass er annimmt, dass er die Wissenschaften, zumindest die moderne Physik, weitgehend so beschreibt, wie sie ist. Er beschreibt nicht, wie Wissenschaft sein müsste, damit sie Fortschritt ermöglichen und Wissen vermehren könnte, sondern er geht von der für ihn offensichtlichen Tatsache des Fortschritte und der Wissensvermehrung aus, und will sie erklären, indem er die wissenschaftliche Methode so beschreibt, wie sie von den Wissenschaftlern tatsächlich eingeübt und angewendet wird.

Andererseits ist Popper auch nicht unbekannt, dass die tatsächliche Wissenschaft weit vielfältiger ist, als es sein Bild nahe legt, und dass der Alltag in den wissenschaftlichen Institutionen durchaus von außerwissenschaftlichen Zielen, Wünschen und Zwängen bestimmt wird. Die wissenschaftliche Methode jedoch ist davon eben gerade unabhängig, sie ist die Norm, an der man sich nicht nur orientiert, die man nicht nur als Idealbild ansieht, sondern nach der sich die Wissenschaftler trotz aller persönlichen Neigungen tatsächlich richten.

Man könnte annehmen, dass es sozusagen ein Norm-Verhalten, oder ein mittleres Verhalten von Wissenschaftlern gäbe, und dass es dieses Norm-Verhalten ist, das Popper beschreibt. Die einzelnen Wissenschaftler weichen in der Realität dann in dieser oder jener Einzelheit von diesem Norm-Verhalten ab, aber im Mittel und im Wesentlichen verhalten sich Wissenschaftler entsprechend des wissenschaftstheoretischen Systems. Aber eine philosophische Wissenschaftstheorie müsste dann die Frage beantworten, warum Wissenschaftler einem solchen System folgen, wodurch sie dazu gezwungen werden. Dieses Norm-Verhalten entspräche einem Natur-Gesetz, von dem man in der empirischen Beobachtung auch Abweichungen findet, die man zum Gegenstand einer Fehlerbetrachtung machen kann, ohne dass das Naturgesetz, die Norm, in Frage gestellt wird. Aber aus welchem Grunde sollten sich Naturwissenschaftler, mithin freie Menschen, einem solchen Gesetz unterwerfen? Diese Frage bleibt offen.

Schon in der Logik der Forschung schreibt Popper „Wir wollen die Regeln, oder, wenn man so will, die Normen aufstellen, nach denen sich der Forscher richtet, wenn er Wissenschaft treibt, wie wir es uns denken“ (2005, 27). Dieser Satz erstaunt durch seine Vieldeutigkeit. Einerseits sollen Normen aufgestellt werden, andererseits sind es die, nach denen sich die Wissenschaftler schon richten, allerdings, so fügt Popper relativierend hinzu, in einer von ihm gedachten Wissenschaft – die ja mit der realen Wissenschaft nicht übereinstimmen muss.

Es gibt einen Ausweg aus dieser Unentschiedenheit zwischen normativer Regelsetzung für die Wissenschaft und deskriptiver Erfassung der realen Wissenschaft. Man könnte Poppers Erkenntnislogik, unabhängig davon, ob er sie so verstanden wissen wollte oder nicht, als eine Theorie von Wissenschaft auffassen, die es gestattet, die Ergebnisse der Wissenschaft, also ihren zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgefundenen Stand, rational zu erklären, zu rekonstruieren. Dafür wäre es nicht von Belang, ob die Theoriendynamik tatsächlich so stattgefunden hat, ob tatsächlich Wissenschaftler in allen Fällen versucht haben, Theorien so zu formulieren, dass die falsifizierbar wären, und dann Experimentatoren mit der Aufgabe betraut hätten, diese Prüfungen vorzunehmen. Wichtig wäre, ob die Geschichte der Wissenschaft, von einem gewissen Ausgangspunkt aus, so gewesen sein könnte, wie Poppers Erkenntnislogik es beschreibt, und ob sie dann zwingend zu eben dem vorgefundenen aktuellen Stand des Wissens geführt hätte. Das bedeutet, Poppers Erkenntnislogik würde uns die Wissenschaft nicht zeigen, wie sie tatsächlich ist oder war, sondern wie sie ihrem Betrachter plausibel erscheinen kann.

Der Beobachter von Wissenschaft findet einen gewissen Status vor, Wissenschaft erscheint ihm, in der wissenschaftstheoretischen Perspektive, als eine Menge von Theorien, oder als eine zeitliche Aufeinanderfolge von Theorien, sie zeigt sich als eine Theoriendynamik in der einige Theorien sich aus anderen entwickeln oder andere ablösen, ersetzen. Der Wissenschaftstheoretiker fragt sich nun, wie sich diese Theoriendynamik plausibel erklären lässt. Ihm erscheinen die Theorien natürlich nicht nur als eine Folge von Dokumenten, um ihre Herkunft zu verstehen, denkt er sich einen Produktionsprozess von Theorien, die genau die vorgefundenen Denksysteme in ihrem historischen Verlauf erklären. Wissenschaft erscheint ihm somit plausibel als genau dieser Produktionsprozess.

Bevor im Folgenden ein Blick auf die Auseinandersetzung und Weiterentwicklung des Wissenschaftskonzepts Poppers geworfen wird, möchte ich hier festhalten, was für das Verständnis des Wissenschaftlichen im Rahmen der vorliegenden Arbeit an diesem Konzept wesentlich ist. Zweierlei ist zu nennen: Die zentrale Rolle von logisch strukturierten Satzsystemen, Theorien, in denen Erkenntnisse oder Wissen dokumentiert werden. Das Wort „dokumentieren“ ist hier bewusst gewählt, denn offenbar kommt es darauf an, dass die Satzsysteme nicht nur etwa mündlich in Diskussionsrunden oder in Vorträgen von Wissenschaftlern dargelegt und diskutiert werden, sondern dass dies, der „intersubjektiven Überprüfbarkeit“ wegen, in schriftlicher Form erfolgt. Der zweite zentrale Punkt ist die Existenz einer wissenschaftlichen Methode, die offenbar erlernbar ist und die sicherstellt, dass die Wissenschaft funktioniert, dass es ihr gelingt, Theorien im obigen Sinne zu erzeugen und darüber hinaus darin sogar einen Fortschritt zu erzielen. Fortschritt wird dabei so verstanden, dass die Erkenntnisse, die Wissensbausteine, welche in den Theorien dargestellt werden, vermehrt werden und sich aus neueren Theorien möglichst ohne Vermehrung der Zahl der Hypothesen mehr Erkenntnisse abgeleitet werden können, als aus den bisherigen Theorien.

In der Tradition der Wissenschaftstheorie besteht über diese Grundsätze kaum Dissens. Diskussionsgegenstand ist nicht, ob die Dynamik der Produktion dokumentierten Wissens das zentrale Element des Wissenschaftlichen ist, sondern, wie sie genau funktioniert. Fraglich ist nicht, dass es eine wissenschaftliche Methode gibt, die erlernbar und beschreibbar ist, sondern, ob zu ihr nur die Prüfung der Theorien, oder auch die Aufstellung von Theorien umfasst, oder ob es neben den Theorien noch weitere Formen dokumentierten Wissens gibt, die zum Wissenschaftlichen dazugehören. In Frage steht auch nicht, dass es in den Wissenschaften einen Erkenntnisfortschritt gibt, sondern wie dieser genau zu bestimmen oder zu messen wäre. In diesem Zusammenhang spielt das Verhältnis von Erkenntnissen und Wahrheit eine große Rolle. Popper etwa war der Ansicht, dass es durch die Bewährung von Theorien eine Annäherung an die Wahrheit der Theorien in dem Sinne gibt, dass die Theorien ein immer genaueres Abbild der Realität liefern (vgl. etwa Popper 2005, 261ff).

Rom Harré: Fakten sammeln und theoretisch ordnen

Im Folgenden wird diese Tradition, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte als Weiterentwicklung oder in Auseinandersetzung mit Poppers Forschungslogik entwickelt hat, exemplarisch weiter verfolgt. Ziel ist es dabei, das Verständnis des Wissenschaftlichen, das sich darin in verschiedenen Fassetten zeigt, weiter zu klären und zu verstehen.

Die zentrale Bedeutung der wissenschaftlichen Theorie steht auch für Harré außer Frage, auch wenn er schreibt: „Scientific work is such as work of the imagination as it is work at the laboratory bench“ (1972, 23). Könnte man hier noch eine Gleichberechtigung von theoretischer Arbeit und Experimentieren vermuten, wird schnell klar, dass auch für Harré das Experiment ganz im Dienste der Theorie steht. Denn zunächst ist die Theorie dem Experiment vorgängig: „We must usually first imagine the mechanism which produce their behaviour and which alone can suggest fruitful lines of further study. Science is not natural history, it is not accumulation of facts. It is the building of a picture of the world.” (ebd.) Das eigentliche Geschäft der Wissenschaft ist also nicht das experimentelle Sammeln von Tatsachen, auch wenn diese systematisch und nach disziplinierten Verfahren gewonnen werden, sondern das Ordnen dieser Fakten in einem theoretischen Bild. Wichtig ist hier die Abgrenzung der Wissenschaften auch von der Naturgeschichte, in der ja Fakten durchaus auch in eine Systematik, in eine Ordnung gebracht wurden. Wissenschaftliche Theorien sind mehr als die „Ordnung der Dinge“[3].

Was eine wissenschaftliche Theorie von einer geordneten Beschreibung der Fakten unterscheidet, ist die Logik, in der die Sätze der Theorie angeordnet sind. Denn Sätze, die in logischer Beziehung zueinander stehen, sind auch für Harré wesentliche Bestandteile von Theorien, allerdings kommen Diagramme und Modelle als Theoriebestandteile hinzu: „Logic and the theory of iconic models are both involved […] in the organization of sentences in all the intellectual activities of scientists.“ (ebd.) So strukturierte Satzsysteme sollen als Theorien zwar ein „Bild von der Welt“ liefern, aber nicht als getreue Beschreibung der Beobachtungen, sondern als deren Erklärung. Nicht die Beschreibung der Regelmäßigkeit des Auftretens von Sonnenflecken und auch nicht die Beschreibung der Korrelation mit dem Auftreten von Nordlichtern ist eine wissenschaftliche Theorie, sondern die Erklärung der einen Beobachtung aus der anderen (24).

Aus der zentralen Rolle der Logik für den Aufbau von Theorien ergibt sich, dass Harré genauso wie Popper die Anwendung einer diszipliniert angewandten wissenschaftlichen Methode als zentrales Element der Wissenschaften versteht. Dies betrifft nicht nur die Theorie, sondern auch das Experimentieren (ebd). Im Unterschied und in ausdrücklicher Absetzung von Popper hält es Harré jedoch für möglich, dass nicht nur die Prüfung der Theorien nach einer rationalen Methode erfolgt, sondern dass auch bei der Aufstellung von Theorien, bei der Ableitung von Hypothesen aus den Beobachtungen rationale Verfahren zum Einsatz kommen (52).

Auch wenn Harré mit Popper darin übereinstimmt, dass Experimente gewissermaßen der Prüfstein der Theorien sind, akzeptiert er das Falsifikationsprinzip als strenges Abgrenzungskriterium der Wissenschaft gegen nicht-wissenschaftliche Aktivitäten nicht. Er verweist zu Recht darauf, dass eine sichere Widerlegung einer Theorie durch das Experiment nicht möglich ist, schließlich kann es auch sein, dass das Experiment fehlerhaft ist, sodass nicht die Theorie, sondern das Experiment modifiziert werden muss (51). Außerdem müssen experimentelle Ergebnisse immer interpretiert werden, und es ist möglich, dass andere Interpretationen Theorien bestätigen, die durch eine frühere Interpretation als widerlegt gelten konnten (52).

Einen Ausweg sieht Harré im Positivismus, einer mit Popper verwandten wissenschaftstheoretischen Position. Die logische, deduktive Struktur der Theorie ist für den Positivismus von entscheidender Bedeutung, Erklärung bedeutet dann nichts anderes als deduktive Ableitung aus den Grundgesetzen der Theorie. Darin besteht für Harré das entscheidende Problem des Positivismus: „The main failure of the positivist point of view is that its advocacy of a simple deductive structuring of theory is too easy to achieved when the terms in the theory refer to the causal mechanisms at work in the production of the phenomena“(61). Falsche Theorien können die gleiche Erklärungskraft besitzen wie wahre, ja, es wird fraglich, ob der Begriff der Wahrheit, und damit der herkömmliche Begriff von Wissen überhaupt noch einen Sinn in den Wissenschaften haben können.

Die Wissenschaftstheorie bringt sich mit diesen Beschreibungen des Wissenschaftlichen auf einen Weg, der die Wissenschaften immer weiter von alltagssprachlichen Verwendungen des Begriffs „Erklärung“ entfernt, und auch der Wahrheitsanspruch bleibt, jedenfalls bei einem alltagssprachlichen Verständnis des Begriffs „Wahrheit“ auf der Strecke. Mit dem Positivismus beginnt deshalb auch die Auseinandersetzung zwischen den wissenschaftliche Realisten und den Anti-Realisten. Während für erstere die Theorien die Welt beschreiben, wie sie ist, und die in den Theorien enthaltenen Ausdrücke auf reale Gegenstände referenzieren, sind letztere damit zufrieden, dass Theorien im obigen Sinne erklärende oder prognostizierende Kraft besitzen, die Elemente der Theorie sind dafür nur Instrumente oder logische Hilfsmittel.

Van Fraassen: Theorien als Instrumente

Es ist hier nicht der Raum, diese Diskussion in ihren Facetten, ihrer Geschichte und ihrer Vielfalt der Standpunkte darzustellen. Das ist für den Zweck meiner Studie auch nicht notwendig: Wichtig ist hier, dass die beteiligten Wissenschaftstheoretiker einig sind über das Primat der Theorie im oben beschrieben Sinne (genauer gesagt, der Satzsysteme, in denen wissenschaftliches Wissen dokumentiert wird) (vgl. dazu auch Hacking, 1996, 9). Gerade daraus, dass die Theorieentwicklung als das zentrale Element heutiger Wissenschaft verstanden wird, und dass durch diese Entwicklung Erkenntnisse gewonnen und Fortschritt herbeigeführt hat, leitet sich das Problem der Begründung dieser Satzsysteme als geeignete Dokumentationsform der Erkenntnis ab, ein Problem, das von den verschiedenen Vertretern der Wissenschaftstheorie unterschiedlich zu lösen versucht wird.

So hat etwa Bas C. van Fraassen das Argument entwickelt, dass es nicht auf die buchstäbliche Wahrheit der Theorie ankomme, sondern darauf, dass Theorien empirisch adäquat seien. Den realistischen Standpunkt kennzeichnet er folgendermaßen: „Science aims to give us, in its theories, a literally true story what the world is like; and acceptance of a scientific theory involve the belief that it is true.“ (1980, 8) Trotz der wichtigen Rolle, die der Realismus in der Wissenschaftstheorie van Fraassen zu Folge im 20 Jahrhundert für das Verständnis des Wissenschaftlichen gespielt hat, steht er angesichts der Entwicklung gerade der Physik vor einer Reihe von Problemen. Das gilt insbesondere, da Theorien Entitäten zur Erklärung der Beobachtungen einführen, die selbst einer unmittelbaren Beobachtung nicht zugänglich sind, wie etwa Elementarteilchen, Felder u.ä. Da sich deren Existenz nicht ohne die Zuhilfenahme der Theorien selbst nachweisen lässt, ist über die Wahrheit oder die Wahrheitsnähe der Theorien kein sicheres Urteil möglich.

Van Fraassen hält das jedoch auch gar nicht für notwendig. Theorien müssen nicht wahr sein, es ist ausreichend, dass sie empirisch adäquat sind: „Science aims to give us theories which are empirically adequate; and acceptance of a theory involves as belief only that it is empirically adequate.“ (1980, 12) Empirisch adäquat bedeutet, dass die Theorie die tatsächlich empirisch beobachtbaren Phänomene erklären kann, dass sie Aussagen über beobachtbare Objekte oder Ereignisse enthält und dass diese Aussagen wahr sind (ebd.). Auch wenn Karl Popper sich selbst als Realisten bezeichnet hat (siehe etwa Popper 1973, 55) lässt sich für die zentrale Frage, was als wissenschaftlich gelten kann, hier zunächst noch eine Übereinstimmung zwischen van Fraassen und Popper feststellen. Auch van Fraassen hält es für notwendig, dass Theorien Aussagen enthalten, die empirisch prüfbar, also falsifizierbar sind, das Poppersche Abgrenzungskriterium ist also im Theorie-Verständnis van Fraassens durchaus enthalten.

Die Aufgabe des Wahrheitsanspruchs für wissenschaftliche Theorien hat jedoch weitergehende Konsequenzen. Wenn Theorien nicht wahr sein müssen, nicht einmal näherungsweise oder vermutlich, so wie es Popper vorschwebte, dann ist es schwer vorstellbar, den Inhalt dieser Satzsysteme noch als Wissen zu bezeichnen, und dann ist es auch schwierig, das Aufstellen von Theorien als eigentliches Ziel der Wissenschaft anzusehen. Nur wenn Theorien als strukturierte Dokumentation eines besonderen, ausgezeichneten Wissens angesehen werden können, deren Wahrheitsgehalt wenigstens tendenziell und mit guten Gründen als größer angesehen kann als der von anderen Überzeugungssystemen, ist es sinnvoll, in der Produktion von (immer besseren) Theorien den eigentlichen Zweck von Wissenschaft zu sehen.

Diesen Punkt hat van Fraassen auch gesehen. Er weist der Theorie deshalb innerhalb des Wissenschaftlichen eine andere Rolle zu: „The real importance of theory, to the working scientist, is that it is a factor in experimental design.“ (1980, 73) Wissenschaftler wollen, so van Fraassen, Fakten über die Welt entdecken, über die Regularitäten des beobachtbaren Teils der Welt, und dazu müssen sie experimentieren. Da die Regularitäten aber komplex sind, ist das Design der Experimente schwierig, und dazu brauchen die Wissenschaftler Theorien (vgl. ebd).

Damit ändert sich nicht nur die Rolle von Theorien für das Verständnis des Wissenschaftlichen, sondern auch das Verständnis dessen, was eine Theorie eigentlich ist. Denn das, Bild von den Vorgängen und Zusammenhängen, welches die Wissenschaftler beim Design ihrer Experimente leitet, muss keineswegs ein logisch fehlerfrei aufgebautes Satzsystem sein. Van Fraassen setzt sich explizit von diesem Verständnis („philosophers began to think of scientific theories in a language-oriented way“ 1980, 64). Er setzt diesem die Vorstellung entgegen, Theorien bestünden aus Familien von Modellen: „To present a theory is to specify a family of structures, its models; and secondly, to specify certain parts of those models (the empirical substructures) as candidates for the direct representation of observable phenomena.” (ebd. Hervorhebungen im Original)

Damit wird für das Verständnis des Wissenschaftlichen ein weiteres Konzept wesentlich: das des Modells. Über dieses Konzept gibt es in der Wissenschaftstheorie vielfältige Diskussionen, die hier nicht ansatzweise nachgezeichnet werden können (vgl. Bailer Jones, 2004, 201). Bei van Fraassen sind Modelle noch Bestandteile der Theorie, letztlich werden die verschiedenen Modelle (etwa das Pendel oder der gedämpfte harmonische Oszillator in der klassischen Mechanik) in einer Theorie durch die fundamentalen Gesetze zusammengehalten (Morrison 1999, 41). Demgegenüber können Modelle eine autonome Rolle in den Wissenschaften entwickeln, sie können als Mediatoren zwischen Theorie und Welt fungieren, indem sie zugleich die Theorie und die Welt repräsentieren (Morrison and Morgan, 1999, 25). Modelle spielen nicht nur in der anti-realistischen Wissenschaftstheorie eine Rolle, vielmehr versuchen gerade auch Realisten unter den Wissenschaftstheoretikern, an die Stelle des gefährdeten Theorien-Realismus einen Modell-Realismus zu setzen, damit den wissenschaftlichen Fortschritt zu erklären und den Realismus zu „retten“ (Aronson et. al 1995).

Wissenschaftstheoretisch setzt sich somit das Wissenschaftliche aus drei Komponenten zusammen: Theorie, Modell und Experiment, wobei Theorie und Experiment sich gegenüber stehen und Modelle dazwischen eine vermittelnde Rolle spielen. Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Autoren darin, ob die Erstellung von Theorien als logisch aufgebauten Satzsystemen das letzte Ziel der Wissenschaft ist, oder ob Theorien nur Mittel für das Design von Experimenten sind, somit das Ziel der Wissenschaft in der Durchführung erfolgreicher Experimente besteht.

Im ersten Fall sind Theorien als Dokumentation wissenschaftlicher Erkenntnisse aufzufassen, die somit eine Repräsentation eines besonderen, gegenüber anderen Wissensformen ausgezeichneten Wissens von der Welt darstellen. Das Ziel, Wissen auf diese Weise in Theorien zu organisieren, muss selbst nicht gerechtfertigt werden, es kann als Selbstzweck angesehen werden, auch wenn Wissenschaftstheoretiker, die auf diese Weise ein Primat der Theorie annehmen (wie etwa Popper, Harré und Aronson et al), eine erfolgreiche Anwendung der Theorien, nicht nur in Experimenten, sondern darüber hinaus für die Lösung praktischer Probleme, annehmen. Modelle sind in diesem Fall Anwendungen der Theorie auf bestimmte Fälle oder Konstellationen von Objekten, deren Verhalten entsprechend der Theorie vorhergesagt und im Experiment nachgestellt werden kann.

Im zweiten Fall, wenn also das erfolgreiche Durchführen von Experimenten als zentrales Ziel der Wissenschaften angenommen wird, macht sich der Wissenschaftler eine Modellvorstellung von einem Ausschnitt der realen Welt, um sein Experiment einzurichten. Ob das Modell in irgendeinem Sinne „wahr“ ist, ist dabei sekundär, wichtig ist, dass sich aus ihm Experimentieranordnungen ableiten lassen. Das Modell ist jedoch nicht nur eine vage Vorstellung, sondern eine formale Konstruktion, dessen Verhalten formal beschrieben und berechnet werden kann. Modelle, die sich der gleichen formalen Konstruktionen bedienen, können als Familie aufgefasst und somit in einer Theorie (eben dieser formalen Konstruktionen) gebündelt werden.

Beide Fälle, sowohl die Ausrichtung der Wissenschaften an dem Ziel, Theorien zu generieren, als auch die Orientierung an dem Wunsch, erfolgreich Experimente durchzuführen, lassen sich letztlich aber in ein konsistentes Bild von Wissenschaft einordnen, in dem Theorie und Experiment, vermittelt durch Modelle, sich wechselseitig bedingen. Ob damit allerdings schon der Charakter des Wissenschaftlichen hinreichend beschrieben wäre, muss bezweifelt werden: Da der Wahrheitsstatus der Theorie und der wissenschaftlichen Erkenntnis fragwürdig geworden ist, ließe sich mit diesem Bild fast jede erfolgreiche Tätigkeit als wissenschaftlich kennzeichnen. Auch der Unternehmer etwa, der eine gewisse Vorstellung von seinem Marktumfeld entwickelt (Modelle, gebündelt in zugrundeliegenden Theorien) um ein neues Produkt in den Markt zu bringen (Experiment), würde dann wissenschaftlich arbeiten. Des Weiteren muss die Frage beantwortet werden, ob das so gezeichnete Bild des Wissenschaftlichen universell sowohl hinsichtlich jeglicher als wissenschaftlich bezeichneter Praxis als auch in Bezug auf die zeitliche Dimension ist, ob also in allen Disziplinen und zu allen Zeiten in dem, was als Wissenschaft bezeichnet wird, ein modellvermitteltes Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment zu finden ist.

Bevor diese Fragen zum Gegenstand gemacht werden, soll im folgenden Abschnitt jedoch zunächst die Annäherung an das Verständnis des Wissenschaftlichen vom anderen Pol aus erfolgen. Wurde in diesem Abschnitt, der wissenschaftstheoretischen Argumentation folgend, die Theorie als System von logisch miteinander verbundenen Aussagen zum Ausgangspunkt gemacht, so soll nun das Experiment oder das Experimentieren genauer betrachtet werden.

[1] Auf die grundlegenden Gemeinsamkeiten des Wissenschaftsverständnisses von Popper und den Positivisten des Wiener Kreises ist von verschiedenen Autoren hingewiesen worden, ausführlich dargestellt hat sie etwa Hacking (1996, 20ff). Auch Hoyningen-Huene (2013, 163) verweist ausführlich auf die Gemeinsamkeiten zwischen diesen Wissenschaftstheoretikern. Sismondo (2004, 4) kennzeichnet diese Gemeinsamkeit dadurch, dass sowohl Popper als auch die Positivisten die Wissenschaften als eine „formale Aktivität“ ansehen, die durch eine „strikte Methode“ der Theoriebildung und -prüfung bestimmt wird – die Differenz zwischen ihnen liegt nur in der genauen Bestimmung dieser Methode.

[2] Es ist erstaunlich, dass Popper ausgerechnet in seiner Auseinandersetzung mit Platon, Hegel und Marx, der Die offene Gesellschaft und ihre Feinde gewidmet ist, eine Argumentation verwendet, die man auch mit dem Satz „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ kennzeichnen kann.

[3] Auf Michel Foucaults gleichnamige Analyse der epistemé wird später einzugehen sein.