Es gibt die Philosophie als gesellschaftliches Phänomen, dazu gehören Leute, die Philosophen genannt werden und diese Bezeichnung nicht zurückweisen, es gibt Bücher, die in den Buchhandlungen unter „Philosophie“ stehen und die dort niemand wegräumen würde, es gibt ein Studienfach, in dem in vielen Ländern der Welt unter diesem Titel so ziemlich das gleiche gelehrt wird. Es besteht große Einigkeit darüber, dass all das irgendwie zur Philosophie gehört und es wäre absurd, da aussortieren zu wollen, weil eben in einem gewissen Sinn das zu einem gesellschaftlichen Phänomen dazu gehört, was in einem allgemeineren Konsens dazu gerechnet wird. Und dazu gehören auch Philosophen, die Bücher schreiben und Vorträge halten, die sich auf eine irgendwie allgemeine und reflektierte Weise mit Physik beschäftigen.
Kompliziert wird es, wenn man sich fragt, was in all dem Tun das Philosophische ist. Das ist ähnlich wie mit dem Christentum und dem Christlich-sein, dem Bürgertum und dem Bürgerlich-sein usw. genauso mit der Wissenschaft und dem wissenschaftlich-sein… diese Adjektive haben irgendwie was versteckt-normatives oder präskriptives (wie ich es gern nenne), sie haben was orientierendes. Und in diesem Sinne sind philosophische Fragen nicht dadurch bestimmt, dass sie von Philosophen gestellt oder „beantwortet“ werden, sondern dass sie eben „philosophisch sind“. Und das macht im Kern aus: sie drehen die Fragerichtung um und fragen nach dem Sinn und der Bedeutung dessen, was wir tun, wenn wir normalerweise einfach so handeln (reden, produzieren, experimentieren, nachdenken, moralisch urteilen, …). Die Antworten auf solche Fragen können nicht empirisch beantwortet werden, sie sind sogar nur in eng begrenztem Sinn empirisch fundiert, sie sind eigentlich spekulativ. Sie finden ihre „Erfüllung“ darin, dass Antwortversuche intuitiv plausibel eingesehen werden (genau genommen finden sie ihre Antwort nie, weil jede Einsicht immer nur vorläufig und begrenzt genügt).
Für mich sind alle Fragen, die so gestellt sind, dass sie grundsätzlich durch Beobachtung der Realität beantwortet werden können, wissenschaftliche Fragen, wenn sie die unbelebte Natur betreffen, sind sie physikalische Fragen. Alle Fragen nach den Voraussetzungen von wissenschaftlichen Fragen sind wissenschaftsphilosophische Fragen.
Oft bezeichnet man alle Fragen, die sich Praktiker im praktischen Arbeiten nicht stellen, deren ungeklärter Status bei anderen aber ein gewisses Unwohlsein verursacht, als philosophisch. Das ist auch in Ordnung. Aber es gibt auch noch Fragen darüber hinaus, und die interessieren mich.
Man kann natürlich alles mögliche „philosophisch“ nennen und dann ein Kontinuum annehmen von Fragestellungen, die irgendwie eine Nähe zu empirischen Antwortmöglichkeiten haben. Und ich weiß, dass viele, die Philosophie lehren und in Zeitschriften veröffentlichen, die philosophisch genannt werden, der Ansicht sind, dass die Fragen, die sie untersuchen, philosophische sind. Und natürlich kann man auch vereinbaren, dass alles, was von einer Gemeinschaft von Sprechern als Philosophisch bezeichnet wird (Texte, Studieninhalte, Konferenzen, Zeitschriften, Interviews, Talkshowantworten,…) zusammen wohl „die Philosophie“ sind. Die Bedeutung eines Worts ist ihr Gebrauch in der Sprache, so voilá, alles was als philosophisch bezeichnet wird, muss ja wohl Philosophie sein.
Das ändert aber nichts daran, dass es Fragen gibt, die prinzipiell nicht empirisch entscheidbar sind, weil sie anders fragen: Die Frage: „Was bedeutet es, ein Gegenstand der Physik zu sein?“ oder „Was ist der Sinn eines ‚physikalischen Gesetzes‘?“, oder, um konkret zu werden: „Was bedeutet es denn, von ‚höherstufigen Gesetzen‘ zu sprechen? Welche Voraussetzungen hat solches Sprechen? Was bedeutet es, in der Physik etwas zu definieren, und welchen ontologischen Status der definierten Dinge/Sachverhalte/Konstrukte schafft so ein Definieren?“ – solche Fragen lassen sich nicht „empirisch entscheiden“ – sie zwingen vielleicht zu Entscheidungen, oder dazu, zu akzeptieren, dass man sich, wenn man Physik betreibt, offenbar immer schon zu vielem entschieden hat.
Diese Fragen muss man von mir aus nicht „philosophisch“ nennen, wenn man mit Philosophie schon alles mögliche bezeichnet hat, weil man ja den Anschluss zur Wissenschaft nicht verlieren will. Ich fänd es sprachlich einfacher, genau diese Fragen als philosophische zu bezeichnen, und die Fragen der „experimentellen Ethik“ z.B als soziologische, politische oder psychologische.