„Funktionieren“ der Demokratie?

Ein Student der Politikwissenschaften hat mich gefragt, worin meiner Meinung nach die „Bedingungen für das Funktionieren der Demokratie in einer pluralen Gesellschaft“ bestehen. Hier meine Antwort:

auf Ihre Frage gibt es meiner Meinung nach keine klare Antwort. Die Frage „Worin bestehen die Bedingungen für das Funktionieren der Demokratie?“ setzt voraus, dass es so etwas wie ein Funktionieren der Demokratie überhaupt gäbe, wenigstens als anzustrebende Idealvorstellung. Man müsste also erstmal nach der Funktion der Demokratie fragen, also die Frage beantworten, zu welchem Zweck die Demokratie ein Mittel sei. Erst dann können Sie prüfen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die Demokratie diese Funktion erfüllen kann.

Was aber ist die Funktion der Demokratie? Was ist der Zweck, zu dem die Demokratie das Mittel ist, zudem vielleicht sogar das bessere Mittel als andere Herrschaftsformen? Ist es „Wohlstand für alle“? Ist es die Sicherung des Weltfriedens? Ist es überhaupt irgendeine gesellschaftliche Problemlösung? Wenn Sie in dieser Richtung nach den Zwecken von Demokratie suchen, werden Sie meiner Meinung nach schnell feststellen, dass es gar keinen Hinweis darauf gibt, dass Demokratie irgendwie ein besseres Mittel zur Erreichung dieser Zwecke ist, als es etwa die Monarchie oder eine Aristokratie wäre. Demokratien sind langsam und überhaupt nicht sehr entscheidungsfreudig. Auch die Qualität der Entscheidungen, die am Ende getroffen werden, ist (wenn man sie überhaupt messen kann) nicht besser als die anderer Regierungsformen. Demokratien sind nicht friedlicher, nicht umweltfreundlicher und nicht menschlicher als andere Länder – wenn wir uns die Sache ehrlich und vom globalen Standpunkt aus ansehen.

Worin also kann die Funktion der Demokratie liegen? Ich habe lange darüber nachgedacht und komme immer wieder zu dem Schluss, dass alle Funktionen, mit denen Demokratie als (geeignetes) Mittel zum Erreichen  von gesellschaftlichen Zielen angesehen werden kann, auch durch andere Regierungsformen geleistet werden können. Nehmen wir einmal an, das wäre so.

Dann bliebe natürlich der Ausweg, dass Demokratie gar nicht Mittel zu einem Zweck wäre, sondern Selbstzweck. Sie hätte dann keine „Funktion“. In unserer modernen Welt, in der sich alles irgendwie rechtfertigen muss, indem es nachweisen kann, Mittel für einen (guten) Zweck zu sein, klingt das erst einmal befremdlich.

Aber nehmen wir mal an, Demokratie würde tatsächlich nur um ihrer selbst willen da sein. Es ginge einfach darum, den Menschen eine Gelegenheit zu geben, beteiligt zu sein an den Entscheidungsprozessen der Gesellschaft, unabhängig davon, ob die Entscheidungen dann besser würden oder nicht. Vor allem: Es ginge darum, dass die Menschen, die das wollen, nicht nur beteiligt wären, sondern auch noch sicher wären, dass ihre Beteiligung „zählt“, dass sie hier und da, wo es ihnen wichtig wäre, Einfluss genommen hätten.

Unter diesen Bedingungen würde sich die Frage „Konsens oder Konflikt?“ neu stellen. Ich meine, beides hätte seine Berechtigung, weil beides ein Weg sein kann, das Gefühl zu erzeugen, dass der einzelne Beteiligte „zählt“. Ein Konsens wäre dann zu bevorzugen, weil er direkt vermittelt zwischen den Interessen des Einzelnen und dem, was tatsächlich geschieht. Möglich sind auch Kompromisse als Zwischen-Lösung zwischen Konsens und Konflikt. Aber auch der Konflikt kann, wenn er ausgetragen wird, sichtbar machen, dass jeder zählt, der sich beteiligt. Bei Fragen, zu denen kein Konsens und kein Kompromiss möglich ist, muss der Konflikt ausgetragen werden, und zwar so, dass der, der unterliegt, die Chance sieht, beim nächsten Mal zu gewinnen – und seine Niederlage akzeptieren kann.

Ob überhaupt die von Politik Betroffenen Interesse an einer solchen Beteiligung haben, ob es und warum es erstrebenswert sein sollte, dass möglichst viele dieses Interesse haben, das sind natürlich eine andere Fragen, die Sie auch nicht gestellt haben.

Beste Grüße und alles Gute

Ihr

Jörg Phil Friedrich

(Wer wissen will, womit der Autor dieses Briefes sein Geld verdient, kann dies z.B. in diesem Text erfahren, in dem es um die Frage nach dem Können von Access geht)