Die Lebenswelt der vernetzten Vernunft und die Lebensform der Vernetzung

Nicht immer, wenn Menschen ihre Leben miteinander verbinden, vernetzen sie sich auch. Das soziale Geflecht kann ein Filz oder ein Gewebe sein, es muss kein Netz und schon gar kein Netzwerk sein. Wenn Hannah Arendt in Vita Activa schreibt, dass „Handeln darin besteht, den eigenen Faden in ein Gewebe zu schlagen, das man nicht selbst gemacht hat“, dann entsteht dabei kein Netzwerk sondern eher ein Geflecht. Es ist notwendig, die verschiedenen Lebensformen, in denen Menschen sich miteinander verbinden oder aneinander binden, zu differenzieren. Während sich im Geflecht und im Gewebe lange Fäden mehrfach miteinander verknüpfen und verschlingen, besteht das Netzwerk aus einzelnen Dingen, die Beziehungen zu anderen Einzeldingen aufbauen. Wer den eigenen Faden ins Gewebe schlägt, vernetzt sich nicht, weil er sich unauflöslich mit dem Gewebe verbindet, während im Netzwerk das Lösen der Verbindung immer eine realistische Möglichkeit ist.

Vernetzung als Lebensform hat nicht, wie man heute vorschnell vermuten könnte, technische Netzwerke zur Voraussetzung. Das, was wir heute als digitale Welt bezeichnen, ist viel älter als Computer und Smartphones, es ist die Lebenswelt der vernetzten Vernunft. Martin Heidegger hat dies schon in seinen Vorlesungen zu der Frage „Was heißt Denken?“ beschrieben und als eingleisiges Denken bezeichnet. Wir können es heute als vernetzte Vernunft bezeichnen. Die Lebenswelt der vernetzten Vernunft ist schon seit langem digital, sie unterscheidet eindeutig zwischen Wahr und Falsch, zwischen dem, was gilt, und dem, was nicht gilt, zwischen Enthalten oder nicht enthalten, klar oder unklar. So entsteht die Lebenswelt der vernetzten Vernunft, und auf diese gründet die Lebensform der Vernetzung.

Die Lebenswelt der vernetzten Vernunft besteht aus dem, was sich auf klare Begriffe bringen lässt, mit messbaren Attributen. Diese Dinge sind vernetzt, und das heißt, sie werden regelkonform miteinander in eine Beziehung gesetzt. In diesem Netz spielt jedes Ding eine Rolle. Das Prinzip der Vernetzung ist die Norm, das Schnittstellen-Protokoll. Ein Netzwerk zu bauen, das heißt, Leitungen mit Steckern herzustellen und die Dinge mit den passenden Buchsen zu versehen. Netzwerkverbindungen sind Kopplungen auf Zeit. Auch wenn das Netzwerk als Ganzes stabil ist und sogar wächst, ist die einzelne Beziehung immer prekär, sie kann gelöst und neu hergestellt werden.

Das ist die Lebensform der Vernetzung. Die normierte Logik der vernetzten Vernunft schafft sich Begriffs-Netze, das sie über die Wirklichkeit wirft. So prägt sie der Wirklichkeit ihr Netzwerk auf. Die vernetzte Vernunft schafft sich eine vernetzte Wirklichkeit, in der die normierten Dinge regelgerecht miteinander gekoppelt sind. Die praktische Transformation der vernetzten Lebenswelt in die Realität, die die Vernetzung Wirklichkeit werden lässt, ist der Grund für den Erfolg der Vernetzung als Lebensform der vernetzten Vernunft.

Vernetzung ist nicht die einzige möglich Form des sozialen Lebens. Sie ist zwar weit älter als die technischen Netzwerke, die die vernetzte Vernunft sich schließlich geschaffen hat, aber sie ist die jüngste, die moderne Lebensform, die die Gegenwart dominiert. Sie schafft nicht nur Netzwerke von Dingen, sie ordnet auch die sozialen Verhältnisse nach dem Netzwerkprinzip. Auch das macht sie erfolgreich.

Die phänomenologische Analyse der vernetzten Vernunft kann die Grenzen ihrer Lebenswelt aufzeigen sowie die Enge der Lebensform der Vernetzung beschreiben.