Der Brumaire der Piraten

Die Piraten – ein Trauerspiel?

Karl Marx bemerkt im „18. Brumaire des Louis Bonaparte“, dass die Menschen ihre Geschichte zwar selbst machen, aber nicht aus freien Stücken. Sie versuchen zwar vielleicht etwas völlig Neues, aber das Alte mit seinen Traditionen, Denkweisen und angeblichen Notwendigkeiten lässt sie nicht entkommen. Sie führen ein neues Stück in alten Kostümen auf. Die Geschichte der Piratenpartei von ihren Anfängen vor gerade einmal gut einem halben Jahrzehnt über ihren bemerkenswerten Aufstieg bis zu ihrem vorläufigen Untergang, der durch die erwartbare Niederlage bei der Bundestagswahl 2013 zwar markiert, aber keineswegs bestimmt ist, scheint nur eine weitere Illustration zu Marxens Satz zu sein.

Auch wenn sich die zumeist jungen und politisch unerfahrenen Freibeuter mit ein paar ungewohnten Äußerlichkeiten von der etablierten politischen Klasse zu unterscheiden versuchten, übten sie sich doch fast vom ersten Tag an darin,  deren Spiel zu spielen. Schon ein Jahr nach der Gründung der deutschen Piratenpartei formulierte ihr damaliger politischer Geschäftsführer den Anspruch, die Ziele der Piraten durch den Gesetzgebungsprozess umzusetzen (http://www.heise.de/tp/artikel/26/26173/1.html). Das Bällebad auf dem Parteitag und die Trickfilmchen zur Unterbrechung politischer Debatten täuschten nur darüber hinweg, dass dort eben ein ganz normaler Parteitag und eine ganz gewöhnliche Debatte stattfanden. Die Akteure wähnten sich als Erfinder einer neuen politischen Kultur und veranstalteten doch nur eine schwache Kopie des politischen Betriebs auf der politischen Bühne, deren Ausstattung und Regieanweisungen letztlich von den Vorgaben der Medienmaschinerie (http://www.heise.de/tp/artikel/37/37908/1.html ) festgelegt waren. Aber Politikbetrieb und Medienmaschinerie sind ein seit Jahrzehnten eingespieltes Mahlwerk, das alle Ansätze des Neuen, Unbekannten aufzureiben und zu pulverisieren und es letztlich in den eintönigen Strom des stumpfen, faden, staubigen Gemisches einzuverleiben vermag, in dem das Revolutionäre allenfalls einen leicht überraschenden, aber vergänglichen Beigeschmack hinterlässt, der schnell verfliegt oder durch Gewöhnung zum neuen politischen Einheitsbrei degeneriert.

Das ist umso tragischer wenn man bedenkt, dass das Spiel, welches die politische Klasse aufführt, vom Volk fast nur noch mit Widerwillen beobachtet wird, und dass der Wunsch nach einer Neubelebung des Politischen im Sinne einer lebensnahen, die Menschen wirklich einbeziehenden Aushandlung der gemeinsamen Sachen inzwischen allgegenwärtig ist. Doch die Piraten, die mit Freude daran gegangen waren, dem politischen System ein neues Betriebssystem ( http://www.heise.de/tp/blogs/8/152576 ) zu verpassen, sind inzwischen vollauf damit beschäftigt, ihre eigenen Verfahren und Verhaltensweisen möglichst optimal den Anforderungen des alten Systems anzupassen. Um gewählt zu werden, schreiben sie Parteiprogramme ( http://www.heise.de/tp/artikel/38/38164/1.html ). Soweit sie in den Parlamenten sitzen, schreiben sie Anträge und bearbeiten Aktenberge, die ihnen die politische Bürokratie auftürmt. Sie sitzen in den Talkshows der Medienmaschinerie, gut ausgeleuchtet und geschminkt, und genau in dem Maße streitlustig und liebenswürdig, wie es die Regie verlangt.

So stellt sich im Jahr 2013 die Piratenpartei als eine vielleicht liebenswürdig oder unprofessionell anzusehende, in ihren verzweifelten Versuchen, normale Politik zu machen, fast bedauernswert unbeholfen anmutende politische Partei dar, die danach strebt, in einem voll besetzten Parlamentsbetrieb einen Platz zu finden und sich, weitgehend unauffällig, in diesen Betrieb zu integrieren.

Aber das war nicht von Anfang an so. Man muss sich, um die Tragödie dieser jungen Gruppierung zu verstehen, in Erinnerung rufen, mit welchem durchaus ungewöhnlichen Habitus und mit welchen ebenso überraschenden Ideen für die politischen Prozesse die Piraten vor nur wenigen Jahren die Bühne betreten hatten und welche Hoffnungen sie dabei bei Menschen geweckt hatten, die sich vom Ränkespiel der politischen Klasse einschließlich der Neben- und Hintergrundhandlungen des  Verwaltungsapparates und des Medienbetriebs längst angewidert abgewendet hatten oder das schlechte Spiel auf der öffentlichen Bühne der Parlamentsdebatten, Interviews und Talkshows nur noch mit zynischem Gelächter begleiteten. Für den kurzen Zeitraum einiger Monate war die Möglichkeit aufgeblitzt, dass eine Alternative zum ewig gleichen zähen, undurchsichtigen Geplänkel der Mächtigen und Einflussreichen Möglich sein könnte. Doch diese Phase dauerte nicht lang. Nach wenigen Monaten schon präsentierten sich die Piraten den staunenden Zuschauern zwar noch immer als Komödianten, die aber – wenn auch in leicht veränderten Kostümen – das allzu bekannte Spiel der etablierten Truppe aufführten. Wie konnte es zu dieser Verwandlung kommen? War sie gar zwangsläufig? Und gibt es wirklich gar keine Alternative? Diese Fragen sind der Anstoß für eine Folge von Texten, die in den nächsten Wochen entstehen werden und die den letzten Akt des Auftritts der Piraten  begleiten sollen. Dieses Schreiben ist von der Hoffnung getrieben, dass eine zweite Version des Spiels möglich ist, das dann vielleicht einen anderen Ausgang hat.

Aber warum sollte sich diese Mühe lohnen? Die letzten Jahrzehnte haben den Auftritt   und Abgang verschiedener neuer Darsteller im Drama der parlamentarischen Demokratie gesehen, die alten Akteure wiederum sowie die Bühne selbst haben diese Zwischenspiele jedoch weitgehend unbeschadet überstanden. Die Piratenpartei könnte auf den ersten Blick als ein zwar schillernder, aber nichts desto trotz ebenso rasch verbleichender Stern in einer Reihe vieler anderer verstanden werden. Ob dies der Fall ist oder ob die sich als neu gebende Partei möglicherweise tatsächlich als erster Vorbote von etwas Neuem, vielleicht sogar von einem geforderten oder wenigstens ersehnten Aufbruch zu neuen Formen der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung gelten könnte, wird erst eine genauere Betrachtung der Geschehnisse rund um den Aufstieg und die vorläufige Niederlage dieser Partei zeigen können.

Unabhängig davon, ob die Geschichte der Piratenpartei nun eine mehr oder weniger amüsante oder unterhaltsame Episode in der endlosen Geschichte der parlamentarischen Demokratie ist oder ob sie der erste, noch unsichere Auftritt eines neuen wichtigen Akteurs ist, lohnt sich eine genaue Betrachtung der Ereignisse, werfen sie doch ein gleißendes Schlaglicht auf die aktuelle politische Gesellschaft. Die Reaktion der politischen Klasse und der Medien auf die neue, ungewohnt auftretende Kraft sowie der Umgang des Publikums mit ihr erlauben einen wenn auch perspektivisch verzerrten Einblick in das Zusammenspiel von Mächten und Gegenmächten, die sonst im nebligen Halbschatten des Alltagsspiels verborgen oder verschwommen bleiben. In der Wechselwirkung mit einer starken Störung zeigt ein System seine wirkliche Struktur, auch wenn diese durch den „Impact“ nur kurzzeitig deformiert wird.

Die Geschichte der Piraten hängt mit einigen weiteren Ereignissen und Akteuren zusammen, die ungefähr gleichzeitig mit ihnen auftauchten und verschwanden. Auch wenn sie zunächst wenig mit den Piraten zu tun zu haben scheinen, lässt sich die gesellschaftliche Situation, in der die Piraten entstanden und agieren, nur in einem zusammenschauenden Blick auf all diese Bewegungen verstehen. Es ist nämlich nicht einmal die Entwicklung des Internet oder der sozialen Netzwerke, die wichtige Voraussetzung der Piratenbewegung waren. Diese lieferten der neuen Gruppe nur das Material, an dem sie sich abarbeiten und mit dem sie sich identifizieren konnte. Wer meint, die Piratenpartei wäre ohne den Ruf nach dem so genannten freien Internet gar nicht entstanden, der hat das Wesen der historischen Situation, in der sich die Gesellschaft der Gegenwart befindet, nicht verstanden. Gäbe es das Internet nicht und nicht das Problem der kostenlosen Nutzung von Informationen und Musik- oder Filmdateien, dann hätten die Piraten sicherlich einen anderen Namen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass nicht trotzdem junge Leute eine politische Gruppe gebildet hätten, die den Anspruch auf eine grundsätzliche Umgestaltung des Politischen mit dem Ziel formuliert hätte, die politische Klasse aus ihrer selbst gewählten Isolation von der Gesellschaft zu befreien. Denn diese Gesellschaft befindet sich im Kern in einer Krisensituation, deren Ausmaß noch gar nicht sichtbar ist und deren Konsequenzen wir noch nicht erahnen können. Eine solche Krise spürt vor allem die junge Generation radikal und intuitiv, weil sie weiß, dass ihr ganzes weiteres Leben vom Verlauf und vom Ausgang der Krise geprägt sein wird. Für jeden unübersehbar ist diese tiefe Krise durch die tiefe Kluft, die zwischen der politischen Klasse und der Bevölkerung besteht, zwischen denen, die regieren und dabei, so der demokratische Anspruch, nur legitime Vertreter des vorgeblich eigentlichen Souveräns, des Volkes nämlich, sein sollen, und eben diesem vertretenen Volk. Diese tiefe Kluft macht sich in vielem bemerkbar, nicht nur in der geringen und immer geringer werdenden Wahlbeteiligung, nicht nur in der allenthalben schlechten Meinung, die die Bürger über ihre Vertreter haben, nicht nur in der sinkenden Bereitschaft der Menschen, in den politischen Organisationen mitzuarbeiten, die doch die demokratische Legitimation der politischen Klasse sicherstellen sollen, sondern auch und vor allem darin, dass der politische Betrieb für das Volk zum puren Schauspiel, zum Medienspektakel verkommen ist, in dem Politiker eben nicht mehr als Darsteller, ihre Unterstützer in den Parteien und Organisationen nicht mehr als Statisten, und das Volk selbst nicht Souverän, sondern mehr oder minder gelangweiltes Publikum ist.

Die Frage nach dem „Souverän“

Wer ist der eigentliche Souverän in einer solchen Gesellschaft? Diese Frage wird im Zuge der Analyse der Geschichte der Piratenpartei zu beantworten sein. Sichtbar ist schon jetzt, dass es weder das Volk noch seine gewählten Vertreter sind. Es ist aber auch eine Illusion zu meinen, der Ort der Macht sei in einer solchen Gesellschaft leer, so wie es Claude Lefort für eine wirklich demokratisch verfasste Gesellschaft bestimmt hat. Ob in dieser Zeit neue Kräfte entstehen und erstarken, die unsere Gemeinschaft zu einer neuen Struktur treiben oder ob die etablierten Netzwerke so stark sind, dass wir eher einer langsamen Erstarrung und einem fast unmerklichen Niedergang entgegengehen, ist natürlich völlig ungewiss. Es wird aber davon abhängen, welche neuen Gruppierungen mit neuen Plänen und Visionen in das Geschehen eingreifen können und mit welcher Überzeugungskraft und welchem Verantwortungsgefühl sie das tun.

Betrachtet man die Gruppierungen und Bewegungen, die zeitgleich mit den Piraten erstarkt und zum Teil erstaunlicherweise auch zeitgleich mit ihnen wieder schwach geworden sind, sieht man Ähnlichkeiten, aber auch dramatische Kontraste. In diesen Kontrasten scheinen die Probleme der Piraten schlaglichtartig auf.

Mehr oder weniger gleichzeitig mit der Piratenpartei hatte die weltweite Occupy-Bewegung ihren Höhepunkt. Auch wenn der Anlass und der konkrete Antrieb zur Aktion nicht unterschiedlicher sein könnte und die Dramatik der Entstehung und des Zusammenfalls von Occupy (http://www.heise.de/tp/artikel/37/37071/1.html ) weit größer war als der der Freibeuter, ist es sinnvoll, beide Bewegungen einmal gemeinsam zu betrachten. Auf den ersten Blick fällt auf, dass beide einem, wenn man so will, antikapitalistischen Impuls folgten, und zwar in dem Sinne, dass es beiden Bewegungen um die Beschränkung der staatlich abgesicherten Macht von Konzernen ging, die ihre oligarchische Marktposition dazu ausnutzen wollten, auf Kosten der Gemeinschaft unakzeptable Maximalprofite zu erzielen. Die beiden neu auf die Bühne tretenden Kräfte sahen sich jeweils als Gegenspieler sowohl des Staates als auch der Wirtschaftsmonopole, sie empfanden, jeweils auf ihrem Feld, eine spezifische Verflechtung von wirtschaftlicher und politischer Macht als das Übel, dem es, und auch darin stimmen beide Bewegungen überein, auf neue Weise eine Grenze zu setzen galt. Jeweils erwachte der Widerstand gegen den politischen Versuch, ökonomische Geschäftsmodelle und alte Wirtschaftsmonopolisten mit staatlichen Werkzeugen und auf Kosten der Gemeinschaft zu retten. Was die Bankenrettung für Occupy war, das war das Urheberrecht für die Piraten (http://www.heise.de/tp/artikel/36/36954/1.html ). Letztlich erhoben sich beide gegen die staatliche Unterstützung eines als asozial und gescheiterter empfundenen Konzernkapitalismus.

Gegen den Staat, die Konzerne  und die Politik

Beide Bewegungen stimmen im Wesentlichen darin überein, dass Staat und Politik – die, wie oftmals in der spontanen öffentlichen Weltsicht, weitgehend als identisch oder als zwei Seiten eines einzigen Gebildes angesehen werden – letztlich nich mehr als Erfüllungsgehilfen der ökonomisch Mächtigen sind. Ob absichtlich oder nicht, ob freiwillig, gekauft oder auf Grund ökonomischer Erpressung mit dem  Argument so genannter Sachzwänge, läuft Politik aus einer solchen Perspektive Immer darauf hinaus, die Interessen der wirtschaftlich mächtigsten und politisch einflussreichen Großkonzerne zu bedienen. Dem galt es sich entgegenzustellen, und zwar vor allem mit neuen, subversiven Mitteln. Dabei war es selbstverständlich, dass man sich am Rande der Legalität bewegen musste, dass man, um den Gegner zu treffen, auszuloten hatte, wie weit die schützende Hand des Staates reichte.

Allerdings, und hier beginnen die Unterschiede deutlich zu werden, suchten Occupy und Piraten sowohl die Öffentlichkeit als auch die Auseinandersetzung mit dem Gegner auf grundsätzlich verschiedene Weise, ja man kann sogar sagen, dass Occupy eher die Öffentlichkeit suchte und die Auseinandersetzung vermied, während die Piraten zunächst ganz auf die direkte Auseinandersetzung setzten und die Öffentlichkeit mieden.

Bei genauem Hinsehen führt der Name Occupy in die Irre, denn die Aktivisten okkupierten nichts, genauer gesagt, sie besetzten, wenn man es denn so nennen will, ein Land, das niemand, jedenfalls nicht die Gegner der Besetzer, beanspruchte (http://www.theeuropean.de/joerg-friedrich/11954-okkupation-als-politische-protestform). Die ließen sich in Parks und auf Plätzen nieder, zwar in der Nähe der Banken, deren Macht sie bekämpfen wollten, aber nicht in den Banken selbst. Sie hinderten durch die Okkupation niemanden daran, weiter seinem Tagwerk nachzugehen. Aber sie erreichten die Menschen auf der Straße, sie waren buchstäblich nicht zu übersehen und nicht zu ignorieren.

Ganz anders die Piraten. Ihre Aktionen trafen zunächst durchaus die Konzerne, die sie auch treffen wollten, jedenfalls so lange, wie sie nicht politische Partei, sondern eben tatsächlich Piraten waren. Andererseits blieben ihre Aktionen der Öffentlichkeit und den unbeteiligten Bürgern vollständig verborgen, nicht nur, weil sie im Internet agierten, sondern weil sie auch dort vorrangig getrennt von anderen, abgeschottet von denen, die einfach ihrer virtuellen Wege gingen, agierten.

Das änderte sich zwar im Laufe der Jahre, aber es erklärt, warum die Piraten von Anfang an auf Medien (im buchstäblichen Sinn) angewiesen waren, und zwar nicht so sehr auf die Medien ihrer eigenen Kommunikation, also die von ihnen schon genutzten Teile der sozialen Netzwerke, sondern auf die Medien, die eben jene unbeteiligten Bürger erreichten, Zeitungen, der Rundfunk und das Fernsehen. Ohne diese eingespielte Medienmaschinerie, die immer auf der Suche nach etwas exotischem, unterhaltsamem, ausgefallenem ist, hätten die Piraten es vielleicht nie zum Auftritt auf der großen politischen Bühne gebracht, sie hätten, vom breiten Publikum unbemerkt, ihr eigenes kleines Kammerspiel gespielt, ein Katz- und Maus-Spiel mit den großen Konzernen der Kreativindustrie auf der einen Seite und ein bisschen avantgardistisches politisches Laientheater auf der anderen.

Wie die Piratenbewegung dadurch deformiert wurde,  dass sie, um wahrgenommen zu werden, auf die herkömmlichen Medien angewiesen war und ihr Spiel spielen musste, wird in einem späteren Text ausführlich zu analysieren sein. Im Vergleich mit Occupy zeigt sich jedoch nicht nur dieser wesentliche Unterschied, sondern auch eine beachtliche und überraschende Gemeinsamkeit. Beide werden, wenn auch in unterschiedlicher Weise, inzwischen vor allem vom bürokratischen Verwaltungsbetrieb zerrieben. Nachdem das – genau genommen nie besonders große – Interesse der Öffentlichkeit an den Bankengegnern auf den Plätzen und in den Parks erlahmt war, verrichteten die Behörden ganz im Stillen ihr zerstörerisches Werk. Kompromisse über die Größe und den Ort der Occupy-Lager wurden ausgehandelt, das Müllentsorgungs-Problem wurde zum Gegenstand von Verwaltungsvorgaben und so weiter. Der Begriff der Besetzung wurde auf diese Weise vollständig ins Lächerliche gezogen. Es ist die große Tragik von Occupy, dass sie nicht etwa von ihren Gegnern, und auch nicht von der bewaffneten Gewalt des Staates geschlagen wurden, sondern schlicht von den bürokratischen Beamten und Angestellten der Stadtverwaltungen, die ihnen die Einhaltung der Ortssatzungen über die Sauberkeit der öffentlichen Plätze auferlegten.

Auch die Piraten haben in der Verwaltungsbürokratie ihren Meister gefunden, und nicht etwa in ihren politischen Gegnern, schon gar nicht in den Konzernen, gegen die sie angetreten waren. Denn da den Piraten die unmittelbare politische Aktion in der Öffentlichkeit von Beginn an suspekt war, strebten sie so schnell es ging in die Parlamente. Dass die schnellen Wahlerfolge ein Pyrrhussieg sein könnten, wurde erst spät deutlich. Die frisch gewählten Abgeordneten gerieten ins Mahlwerk der politischen Bürokratie, statt sich ihren großen Themen widmen zu können, lernten sie, Gesetzesvorlagen zu studieren und Anträge zu formulieren. Sie gerieten in einen eingespielten politischen Betrieb und wussten gar nicht, wie ihnen geschah, als sie vor die Wahl gestellt wurden, entweder das Spiel mitzuspielen oder weitgehend stumme Zuhörer zu bleiben.

Auch die Rolle der Ministerialbürokratie im Politikbetrieb, die die Piraten effizient gelähmt und marginalisiert hat, wird noch genauer zu untersuchen sein. Dabei wird ein ganz neues Licht auf die Frage fallen, wer im Politischen eigentlich das Sagen hat. Für den Moment genügt es, zu konstatieren, dass der schnelle Weg der Piraten auf die Bühnen der parlamentarischen Demokratie den Zielen der Bewegung eher geschadet hat. Sie konnte die Bühne nicht nutzen, um den Bürgern ihre Alternativen zu diesem Apparat zu demonstrieren und sie wurde von der Frage gespalten, wie viel Kompromiss mit der etablierten politischen Klasse die Piratenidee aushalten kann.

Allerdings gab es bei den Piraten durchaus Versuche, die hermetische Welt der Internet-Netzwerke und der abgegrenzten Zirkel zu verlassen und die politische Aktion direkt in die Öffentlichkeit zu tragen. Am interessantesten war hier vielleicht die Übernahme einer Idee, die sich wiederum der internetbasierten Kommunikationsmittel bediente: des Flashmob (http://www.heise.de/tp/artikel/31/31195/1.html ). Dass diese Aktionen funktionieren, zeigte 2009 die Aktion auf einer Wahlkampfveranstaltung der CDU, die den Satz „Und alle so Yeah“ unvergesslich gemacht hat. Spaß an der politischen Aktion paarte sich hier mit einer performanten Lebendigkeit, die zeigte, dass man den zur Phrase und zum leeren Ritual verkommenen mit Ironie am besten bekämpfen kann. Warum haben die Piraten solche Methoden der politischen Aktion nicht weitergeführt. Warum haben sie ihre Keativität nicht darauf gerichtet, das erstarrte politische System der Lächerlichkeit preiszugeben? Sie waren und sind eben viel zu sehr in den Bildern von ernsthafter Politik gefangen, die sie von klein auf gelernt hatten. Sie haben, als die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam wurde, nicht mehr den Mut besessen, radikal neue Wege zu gehen. Vielleicht cht glaubten sie, dass es eine Abkürzung durch die Institutionen gäbe. Die mediale Aufmerksamkeit und ein paar Erfolge bei Wahlen haben sie Glauben lassen, dass man hinter den Bildschirmen sitzen bleiben kann, dass es genügen könnte, seine Stimme in ein technisches System einzuspeisen, ein paar Blogartikel und Facebookkommentare zu schreiben, hin und wieder eine Petition zu teilen und zu zeichnen und damit, die eigenen Abgeordneten und die Medien steuernd, irgendwie auf den Weg in eine neue Demokratie zu kommen.

Am Ende, und wir stehen momentan an einem gewissen Ende, taten die Piraten aber nur noch genau das, was eine Öffentlichkeit, die unterhalten werden will, und ein politischer Betrieb, der nur reibungslos funktionieren will, von ihnen erwartete – aber das taten sie natürlich nicht besonders gut. Ihre eigenen Themen ließen sie sich von den routinierten Spielern der anderen Parteien schneller aus der Hand nehmen, als man es für möglich hielt, und die Visionen von einem Update für das politische System gerieten bei den Versuch, wenigstens ein bisschen am bestehenden System mitmachen zu können, schnell in Vergessenheit.

Eine Besinnung ist notwendig. Besinnung heißt, den Weg, den man gegangen ist, zurückzuschauen, und sich zu fragen, an welcher Stelle man den falschen Pfad genommen hat, wo man den falschen Ratschlägen gefolgt ist, wann man eine Fata Morgana für das erstrebte Ziel gehalten hat. Das ist eine komplizierte Sache, für die Zeit erforderlich ist, und die vielleicht überraschende Einsichten bringt. Wahrscheinlich wird man ein paar Gefährten und Illusionen verlieren, aber auf jeden Fall wird man dabei eine Menge darüber lernen können, wie diese Gesellschaft eigentlich funktioniert, wer tatsächlich die Macht hat, wer ein Verbündeter sein könnte und von wem man sich besser nicht zu fest umarmen lässt.