Abduktion ist ein Schließen von einer vorliegenden (überraschenden) Tatsache auf eine Hypothese. Die Idee ist, zu der gefundenen Tatsache eine Theorie (Hypothese) zu finden, deren Geltung die gefundene Tatsache zu einer Selbstverständlichkeit machen würde.
Zur Illustration wurde schon von Peirce folgendes Beispiel herangezogen: in einem Speicher werden weiße Bohnen gefunden. Bekannt ist, dass sich in einem Sack auf diesem Speicher weiße Bohnen befinden. Der abduktive Schluss liefert die Hypothese „diese Bohnen stammen aus jenem Sack mit weißen Bohnen“.
Auch wenn die Literatur zur Abduktion häufig den Eindruck erweckt, dass am Ende des abduktiven Schlusses immer eine neue Hypothese als Kern einer neuen Theorie stehen muss, zeigt schon das Peirce’sche Bohnen-Beispiel, dass die Hypothese auch schlicht darin bestehen kann, dass die gefundenen Tatsachen als Fälle der Anwendung einer bestehenden Theorie aufgefasst werden können. In Peirce’s Beispielen steht der Sack mit weißen Bohnen immer für die „allgemeine Theorie“: „Alle Bohnen in diesem Sack sind weiß“. Die abduktive Hypothese besagt dann, dass die gefundenen Bohnen „in diesen Sack gehören“. Sie besagt nicht: „Hier muss es irgendwo einen Sack mit weißen Bohnen geben“.
Abduktion ist nicht Induktion, weil sie nicht vom Auftreten vieler gleicher Ereignisse auf ein allgemeines Gesetz schließt. Das würde die Induktion tun. Sie leitet aus dem wiederholten gleichartigen Auftreten eines Ereignisses unter gleichen Bedingungen die Wirkung eines allgemeinen Gesetzes ab. Bei der Abduktion hingegen wird von wenigen Beobachtungen ausgegangen, welche unter der Annahme von bestimmten Wirkmechanismen als selbstverständlich angesehen werden könnten. Die Abduktion ist, für sich allein genommen, eine sehr schwache Schlussweise. Deshalb ist es gut, wenn die angenommenen „bestimmten Wirkmechanismen“ nicht in einer völlig neuen Theorie beschrieben werden, sondern einer Theorie entnommen werden können, die bereits erfolgreich ihre Erklärungskraft unter Beweis gestellt hat.